Aus den Briefen der Firunja Schneelöwe


Werte Mutter Linai,

voller Zuversicht möchte ich Euch von den Geschehnissen der letzten Tage berichten. Leid und Glück lagen so eng beieinander wie Leben und Tod, aber ich verspüre wieder Hoffnung in mir. Noch vor wenigen Tagen erschien mir unsere Situation und damit das Schicksal ganz Deres unrettbar, aber nun sehe ich wieder ein wenig Licht das durch meine Sorgen bricht.

Am Morgen des 26. Travia erreichten wir Mherwed. Nach den Tagen in der Wildnis war es meinen Begleitern, allen voran Prinz Stipen, anzumerken, wie sehr sie sich über unsere Rückkehr in die Zivilisation freuten. Verblasste die Stadt auch im Vergleich zu Rashdul, war sie doch eine bedeutende Handwerksstadt. Hier herrschte Feststimmung. Überall standen Tische und Bänke, Lachen und Singen war zu hören und Freude durchströmte die Stadt. Prinz Stipen teilte uns mit, dass es sich hierbei um die letzten Feierlichkeiten zur Geburt des Sohnes des Kalifen handelte. Offensichtlich war man hier sehr erfreut über die Geburt des Kindes. Was uns verwunderte war die Dauer dieses Festes. Es erstreckte sich über die letzten vier Wochen. Nun, die Geburt eines Kindes ist immer ein Wunder, aber dies erschien mir doch etwas überzogen. Der Reichtum dieser Stadt musste gewaltig sein, dass sie sich eine solche Feier gestatten konnte.

Leider fiel unser junger Adelsspross gleich negativ auf, in dem er versuchte etwas Essbares von einem der Tische zu nehmen. Natürlich waren seine Reitkünste dieser artistischen Übung nicht gewachsen. Seitlich rutschte er von dem Pferd und stürzte auf den Tisch. Dieser wirkte unter seiner beachtlichen Leibesfülle wie ein Katapult, das die Umstehenden mit Speisen beschoss. Der Herrin sei Dank, erzeugte dies aber nur Gelächter. Man war wohl zu gut gelaunt um daraus den „Ungläubigen“, wie man uns hier sicher sah, den Strick zu drehen. Leider war unser Freund Salix so unbedacht seine nächste Äußerung im Namen der Zwölfe auszusprechen. Nicht, dass dies ein Makel sei, aber in dieser Umgebung sollte man mit solchen Aussagen sehr vorsichtig sein. Sofort begannen einige der Novadis leise zu murmeln. Schnell machten wir uns davon, um nicht noch mehr Unmut zu erzeugen.

So begaben wir uns zur Akademie der magischen Künste im alten Kalifenpalast, um Stipen dort seiner Bestimmung zuzuführen. Aber eine große Überraschung sollte uns dort erwarten. Am Tor wurden wir von den Wachen angehalten und nach unserem Begehr gefragt. Auf unsere Antwort hin, dass Stipen zur Ausbildung hierher gebracht wurde, verlangte man sein Anmeldungsschreiben. Davon hatte er uns gegenüber noch nichts erwähnt. Sofort begann er in seinen Taschen zu wühlen. Als dies nicht von Erfolg gekrönt war, stieg er ab und leerte eben diese auf die Straße. Nach dem er mehrere Minuten, in denen sich die Farbe seines Kopfes immer mehr der einer Tomate annäherte, gewühlt hatte, erhob er sich und gestand uns, das Schreiben nicht gefunden zu haben. Wir baten um eine Audienz beim Akademieleiter, diese wurde uns aber mangels Empfehlungsschreiben abgeschlagen, wir sollten uns ein solches Schreiben beim Wesir holen.

So machten wir uns auf den Weg zum Wesir, den ganzen Weg zurück über den Fluss. Stipen war doch sehr kleinlaut, ob der Geschehnisse. Es war im sichtlich peinlich, in einem so schlechten Licht zu erscheinen. Vor allem mir gegenüber war er sehr reserviert. Nicht einmal sah er mir in die Augen.

An der Brücke präsentierte sich uns ein gewaltiges Verkehrschaos. Genau in der Mitte des Flusses standen sich zwei Fuhrwerke gegenüber. Lautes Geschrei aus vielen Kehlen heizte die Stimmung an und es sah so aus, als würde es hier demnächst zu einem Aufstand kommen, wenn nicht schnell eine Lösung gefunden wurde. So öffnete ich meine Seele und ließ alle Liebe, die in meinem Herzen ruhte, in meine Stimme fließen. Um mich herum beruhigte sich die Lage und ich wurde auf die Brücke vorgelassen. Dann erkannte ich einen fliegenden Teppich in der Mitte der Brücke. Auf ihm saß ein alter, fast nackter Mann, der in den Streit der beiden Kutscher verwickelt war. Es sah mir aber so aus, als ob er den Streit eher anheizen als beruhigen würde. Kaum hatte ich die Streithähne angesprochen beschimpfte mich der Mann als „Ungläubige“ und warf mir diverse religiöse Schmähungen entgegen. Aber nachdem dies bei mir keine Wirkung zeigte, wand er sich um und mir den Rücken zu. So versuchte ich im Streit zu vermitteln. Aber ich musste wohl eine der hiesigen Sitten verletzt haben, denn kaum hatte ich wenige Worte erwidert, wurde der Streit noch lauter.

In meiner Hilflosigkeit blickte ich um mich. Magister Torben hatte wohl meine missliche Lage erkannt und begann zu zaubern, nachdem er Thallian auf die andere Seite des Fuhrwerks geschickt hatte. Nach wenigen Momenten hoben sie dieses hoch und begannen es nach hinten über die Brücke zu tragen. Die plötzlich entstandene Lücke nutzte der nächste Ochsenkarren um loszufahren. Kaum hatte er den Bereich des Schwerelosigkeitszaubers, den Torben, wie mir nun klar wurde gesprochen hatte, erreicht, hob er ebenfalls ab. Nun waren Dinge ins Rutschen gekommen, die wir nicht mehr stoppen konnten. Kaum hatte er unter dem angstvollen Rufen des Kutschers und den erstaunten Ausrufen der Menge den Zauber durchquert, ging es auch schon wieder abwärts. Bei dem nun folgenden Aufprall, welcher den Zwölfen sei Danke erst hinter der Brücke erfolgte und niemanden traf, musste sich der Kutscher wohl den Kopf angeschlagen haben, denn er blutete leicht.

Das andere Fuhrwerk stellten meine Kameraden auf der anderen Seite ab. Kaum war dies geschehen, war auch schon die Stadtwache erschienen. Sie mussten die Geschehnisse aus der Ferne schon gesehen haben, denn sie zeigten deutlichen Respekt vor Magister Torben und Thallian. Da überraschte uns unser junger Adelsspross. Prinz Stipen baute sich auf dem Pferd sitzend vor dem Weibel zu voller Größe auf. Herablassend, aber mit der richtigen Portion Selbstverständlichkeit stellte er sich vor und verlangte zum Wesir gebracht zu werden. Ob dieser Zurschaustellung von blauem Geblüt war der Weibel so eingeschüchtert, dass er es nicht wagte zu widersprechen. Ohne Diskussion eskortierte er uns zum Palast des Wesirs. Als wir gerade dabei waren die Brücke zu verlassen, stockte uns der Atem. Auf der Säule in der Mitte der Brücke ruhte ein Mondstein. War dies ein Zufall oder göttergewolltes Schicksal?

Ohne weiteren Halt wurden wir in die Oberstadt gebracht. Am Tor zur Residenz des Wesirs eilte der Weibel unserer Eskorte voraus und tuschelte mit den Wachen. Mit sichtlichem Erfolg. Kaum waren wir am Tor angelangt, öffneten sich auch schon die schweren Tore und ließen uns ein. Aber hier endete wohl der gesellschaftliche Wert Prinz Stipens; wir warteten eine halbe Stunde, bis wir zum Wesir gerufen wurden. Kaum hatten wir uns in Bewegung gesetzt, trat Salix in einen Haufen Dung. Ich kann mich nicht erinnern diesen vorher gesehen zu haben, geschweige denn ein Tier, von dem er stammen könnte. Erst am nächsten Tag sollte mir die Bedeutung dieses vermeintlichen Zufalls aufgehen. Unser unglücklicher Gaukler wurde von einigen Dienern fortgeführt, um gründlich gereinigt zu werden. Kurze Zeit später erschien er wieder in tulamidischen Gewändern, die ihm eine vollkommen andere Ausstrahlung gaben, als seine sonstige Berufskleidung.

Der Wesir empfing uns in seinem Arbeitszimmer. Kaum blickte er von seinem Werk auf, als wir den Raum betraten und wieder mussten wir warten. Mir schien es, als sei dies nicht unbedingt darauf zurückzuführen, dass sein Tun nicht unterbrochen werden könne. Nein, es ging eher darum zu zeigen, dass wir die Bittsteller seien und er der Gönner.

Als er dann endlich sein Haupt uns zuwandte übernahm Torben das Wort. Schließlich war er diesem Manne im Geiste näher als jeder andere von uns. Und auch wenn unser Magier nicht unbedingt der Geschickteste im Feilschen war, so wusste er doch zumindest sich zu benehmen und seinem Rang entsprechend zu agieren.

Nach den üblichen Begrüßungsfloskeln wurde bald nach unserem Ansinnen gefragt. So erzählte Torben vom verlorenen Anmeldungsschreiben Prinz Stipens. Nun überraschte uns der Wesir. Er erwiderte, dass er schon seit mehreren Tage mit eben diesem gerechnet hatte, da das neue Studienjahr bereits begonnen hatte. Nun war es an Stipen uns zu überraschen. Auf die Frage, wo dieses Schreiben denn geblieben sei, antwortete er, dass er es nicht nötig gehalten hatte es mitzubringen. Dem Wesir entlockte dies nur eine hochgezogene Augenbraue, uns hingegen war wohl anzusehen, dass wir von einer solchen Selbstüberschätzung vollkommen überrascht waren. Gönnerhaft entsprach er unserem Gesuch, uns ein neues Empfehlungsschreiben auszustellen, nicht ohne uns mit einem Kopfschütteln deutlich zu machen, dass diese Angelegenheit in hohem Maße peinlich für uns sein sollte.

Nachdem dies nun geregelt war, kamen wir zu unserem zweiten Ansinnen. Wir erzählten, dass wir den Mondstein auf der Brücke zu wissenschaftlichen Zwecken untersuchen wollten. Diesmal versuchten wir es von Anfang mit der Wahrheit, vielleicht war uns Erfolg beschieden. Der Wesir wandte sich um und begann in einem dicken Buch zu blättern. Erst nach mehreren Minuten wandte er sich uns wieder zu und sprach uns die Erlaubnis aus dies zu tun, allerdings nicht ohne die erforderliche Gebühr von 500 Marawedis zu erwähnen. Nachdem ich einen Moment damit beschäftigt war diese Summe in Dukaten umzurechnen, kam mir der Gedanke, dass mit dieser Summe wohl eher die Stadtkasse gefüllt werden sollte, als dass es sich um eine ernsthafte Gebühr handelte. Weiterhin sagte er uns zu, dass er den Kalifen fragen würde, ob wir den Stein eventuell zu weiteren Untersuchungen ausleihen dürften.

Nun begann das Feilschen, wie es in den Tulamiden-Landen so üblich ist. Wieder einmal zeigte sich, dass Torben nicht der beste Händler war. Aber wenigstens erhöhte sich die Gebühr nicht und wir zahlten mit einem Großteil der Münzen aus dem Grabmal. So war dieser Reichtum wenigstens einer breiteren Öffentlichkeit zugute gekommen, nach allem Unheil, das in seinem Namen schon verübt wurde. Daraufhin stellte uns der Wesir ein Schreiben aus, das uns berechtigte unsere Untersuchungen durchzuführen, allerdings mit der Auflage, die Brücke nicht zu beschädigen.

Nun machten wir uns wieder auf den Weg zur Akademie. Auf der Brücke war inzwischen etwas Ruhe eingekehrt, der Verkehr war zurückgegangen. Aber wir trafen wieder den alten Mann auf dem fliegenden Teppich. Einige Einwohner hatten sich um ihn versammelt und lauschten seinen Worten. Er schien eine Art Predigt oder religiösen Unterricht abzuhalten. Wir würden später wiederkommen und mit ihm sprechen, er schien ein Mann von gehobener oder doch zumindest anerkannter Stellung zu sein.

An der Akademie angelangt, legten wir das Schreiben des Wesirs vor. Mit unbewegter Miene las die Wache und begab sich dann zum Tor. Kurz darauf öffnete es sich. Der Herrin sei Dank, unsere Aufgabe war erfüllt. Die Wache begrüßte Stipen als neuen Scholaren, worauf dieser vom Pferd abstieg und sich von uns verabschiedete. Nun, da diesem jungen Mann eine neue Zukunft gegeben war wünschte ich ihm alles Gute. Ich nahm in sanft in die Arme und küsste ihn sanft auf die Wange.

Werte Mutter, Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie überrascht ich war, als er mich plötzlich mit ungewohnter Kraft in die Arme schloss und mich küsste. Aber dies war nicht der Abschiedskuss eines jungen Mannes, der sich von einer Reisegefährtin verabschiedete. Nein, es waren die Kraft und das Ungestüm des Liebhabers, die aus im sprachen. Ein sehr junger Liebhaber mit eher einfachen Fertigkeiten, aber doch mit dem Herzen dabei. Ich muss gestehen ich war ein wenig verwirrt ob dieser Geschehnisse, so bin ich doch in den Dingen der Liebe, soweit sie nicht mein Amt berühren, selbst noch recht unerfahren. Mit leicht erröteten Wangen zog ich mich von ihm zurück, er selbst schien überrascht von seinem Handeln, aber mein verstehendes Lächeln gab ihm seine Selbstsicherheit zurück.

Nachdem alle sich verabschiedet hatten, schritt Stipen voran und rief Salix zu, dass er ihm seine Tasche bringen sollte, wurde aber sofort von der Wache aufgehalten.
„Er soll seine Sachen selber tragen“ herrschte diese ihn an. Entsetzen und Unmut zogen über das Gesicht unseren jungen Scholaren. Ich muss gestehen, ich musste mich beherrschen nicht zu schmunzeln. So sehr ich auch Verständnis für seine gesellschaftliche Stellung und die Selbstverständlichkeit gewisser, seiner Handlungen hatte, so sehr spürte ich eine gewisse Schadenfreude in mir aufsteigen. Ich weiß dies ist zutiefst unwürdig, schließlich wurde er im Wissen erzogen, dass eine solche Tätigkeit weit unter seiner Würde war. Bitte verzeiht mir diese menschliche Regung, ich werde die Herrin im Gebet um Vergebung dafür bitten.

Unser Salix hingegen konnte sein Lachen nicht unterdrücken und prustete lauthals los. Dies brachte ihm finstere Blicke von Stipen ein, er hatte sich damit sicher keinen Freund geschaffen. Mit deutlich zornigem Gesichtsausdruck packte der Prinz seine Habseligkeiten und zog von dannen. In diesem Moment fragte ich mich, ob wir jemals wieder von ihm hören würden. Insgeheim bat ich die Herrin, dass er seinen Weg in dieser Welt erkennen und gehen würde, um Glück und Erhabenheit zu finden.

So begaben wir uns zu unserer Herberge um zu ruhen.

Am nächsten Morgen, es war der 27. Travia, sah Salix sichtlich übermüdet aus. Er erzählte mir von düsteren Alpträumen, die er in letzter Zeit erlitt. Ich bot ihm an, in der nächsten Nacht ihn in seinen Träumen zu begleiten und damit vielleicht Linderung zu erzielen. Wie ich später am Tag feststellen sollte, war dies schon fast zu spät.

Mit einer Leiter begaben wir uns wieder zu Brücke um gleich den Mondstein zu untersuchen. Auf der Brücke befand sich schon wieder der alte Mann, er schien den ganzen Tag nichts anderes zu tun zu haben, als seine Lehren zu verbreiten. Leider hatte er dieses Mal einen schlechten Jünger getroffen. Unser Thallian, in letzter Zeit schon fanatisch an seinem Glauben festhaltend, war nach wenigen Minuten in eine hitzige Diskussion verwickelt, wegen derer wir ihn von der Brücke entfernen mussten, um nicht einen noch größeren Menschenauflauf zu erzeugen.

Kurz darauf und mehrere religiöse Thesen später erschien die Stadtwache wieder auf dem Plan. Inzwischen herrschte aufgrund unserer Anwesenheit wieder ein gewaltiger Stau auf dem Bauwerk, welcher den Verkehr sichtlich behinderte. Ich hatte schon den Eindruck, dass ein Großteil der Bevölkerung uns als ein interessantes Schauspiel betrachtete. Nach einer kurzen Diskussion gestand uns der Weibel zehn Minuten auf der Brücke zu. Dies sollte Torben reichen um die Echtheit des Steines zu bestätigen oder eine Kopie zu erkennen.

Abseits der Brücke hörten den Streit Thallians mit dem alten Mawdli wider aufflammen, aber es schien nun eher eine Diskussion zu sein, denn ein beginnender Schwertzug. So ließ ich ihm den Freiraum für seinen Glauben zu streiten, vielleicht würde ihn dies den Werten der Herrin Rondra wieder näher bringen.

Schon nach wenigen Augenblicken bestätigte Torben, dass dies wirklich einer der Mondsteine des Bastrabun war und wir nun beim Wesir vorstellig werden sollten um die Erlaubnis zur Mitname des Steines zu erwirken.

Am Kalifenpalast angekommen, wurden wir gleich vorgelassen, erst später erkannte ich, dass dies an der kommenden Gebühr lag. Der Wesir hatte gute Nachrichten. Der Kalif hatte dem Ausleihen des Steines zugestimmt, nicht ohne aber eine weitere Gebühr von nun 1000 Marawedis zu verlangen. Auch hier waren die Versuche Torbens den Preis zu drücken nicht von Erfolg gekrönt. So legten wir einen Großteil der Edelsteine aus dem Grabmahl zur Begleichung des Betrages vor. Weiterhin erhielten wir die Auflage eine Kopie des Steines in die Säule einzulassen, bis er wieder zurückgegeben wurde.

Mittels eines von Torben beschworenen Djinns hielten wir bald diese Kopie in Händen und machten uns mit einem Maurer auf den Rückweg zur Brücke. Unser frisch erschaffener Stein war aus mehreren Edelsteinen entstanden, allerdings vermochte der Djinn nicht, auch die Runen auf seinem Äußeren entstehen zu lassen. Auf der Brücke sollte uns eine gewaltige Überraschung erwarten.

Das Bauwerk war vollkommen nass, als hätte eine gewaltige Welle es überspült. Ihr könnt Euch unsere Überraschung vorstellen, als wir erfuhren, dass genau dies geschehen war und unser Thallian dafür verantwortlich war. Scheinbar hatte er während des Streitgesprächs mit dem alten Mawdli so sehr herausgefordert gefühlt, dass er ein Rondrawunder erwirkte und eben dieses sich als Welle manifestierte, die den Fluss herunterkam.

Ja, werte Mutter, Freude spricht aus diesen Worten, denn ich sehe nun wieder das Wirken der Zwölfe in Thallians Handeln. Allein, dass er diese Kraft in unsere Sphären rufen konnte beseitigt allen Zweifel an seiner Götterfurcht und Ehrbarkeit. Vielleicht ist sein lästerliches Verhalten im Grabmal nun gesühnt und diese Geschehnisse werden sich nicht wiederholen.

Nachdem nun der Stein auf der Brücke ausgetauscht war begaben wir uns auf die Suche nach einer weiteren Hand des Bastrabun. Wenn man den Tulamiden glauben möchte, dass all diese Hände die wahre Hand sein sollen, so muss Bastrabun wahrlich das Aussehen eines Tausendfüßlers gehabt haben. Um aber nichts unversucht zu lassen, begaben wir uns zum Pavillon der Hand, wo allerdings schnell festzustellen war, dass es sich um eine wirklich dreiste Fälschung handelte. Diese Hand war gerade einmal vielleicht 70 Jahre alt, also nicht einmal annähernd alt genug. So zogen wir wieder von dannen.

Im Park vor dem Pavillon entdeckten wir allerdings einen Magier, der uns schon einige Zeit beobachtet hatte. Torben sprach ihn an und sogleich gestand uns dieser den Eindruck bekommen zu haben, dass wir nach der Hand suchten. Natürlich hatte auch er eine Hand parat, allerdings war sie nicht in seinem Besitz, sondern befand sich in einer Krypta auf einem Friedhof vor der Stadt. Für diese Informationen verlangte er einen Smaragd als Bezahlung. Wieder wechselte ein Edelstein seinen Besitzer.

So berichtete er, dass auf diesem Friedhof die 12-Götter-Gläubigen beigesetzt wurden und die Krypta von einem Diener des Schweigens bewacht wurde. Jetzt erscheint es mir furchtbar naiv, dass wir glaubten, dass ein Heiligtum der Novadis auf einem Friedhof von 12-Götter-Gläubigen aufbewahrt werden sollte. Nun, da wir aber jedem Hinweis nachgehen wollten, begaben wir uns nach außerhalb der Stadt zu eben diesem Friedhof.

Dort angekommen war gleich zu erkennen, dass hier eine Randgruppe der Gesellschaft beigesetzt wurde. Alles wirkte verfallen und ungepflegt, Hecken und Büsche wucherten zwischen den Gräbern. Der Borontempel war zerfallen, teils eingestürzt und jeglicher Divinität beraubt. Aber, so wie es uns versprochen war, erwartete uns eine Gestalt in einer dunklen Kutte. Langsam kam sie uns entgegengeschlurft.

Thallian erhob das Wort und erbat Zugang zu der Krypta. Ohne ein Wort, aber mit einem bestätigenden Nicken drehte sich der Wächter um und schlurfte langsam zu einem der Grabmäler. Als er die Stufen hinab fast alle hinter sich gelassen hatte, beschlich mich ein ungutes Gefühl. Wir begaben uns in ein Grab ohne jemals das Gesicht unseres Führers gesehen zu haben. Er könnte genau so ein Grabräuber oder Bandit sein. Obwohl ich unter seiner Kapuze nichts erkennen konnte, konzentrierte ich mich auf seine Seele, um einen Rückschluss auf seine Absichten zu erlangen.

Ein Schauder überlief mich, als ich nach einiger Zeit ein undeutliches Bild einer Khoramsbestie wahrnahm. Geifer lief über Lange Fänge, welche die Winkel des breiten Mauls zu einem bizarren Grinsen verzerrten. Aber der Tod hatte sich in diese Züge eingeprägt, Verwesung und Mumifizierung hatten zu gleichen Teilen das Fleisch zerfressen und nur eine Maske des Schreckens hinterlassen.

Noch geschockt von diesen Eindrücken, die auf mich einstürmten, nahm ich wie betäubt eine faulige Hand wahr, die sich unter dem Mantel hervor schob. Noch bevor wir reagieren konnten lag diese auf einem Hebel und drückte diesen herunter. Ein lautes Rumpeln hinter uns zeigte, dass wir durch ein Falltor in diesem Raum eingesperrt waren. Nun senkte die Gestalt die Kapuze und offenbarte ihr wahres Gesicht... ein Ghul. Zu allem Unglück schälten sich über ein Dutzend weitere aus den Schatten und rückten auf uns vor.

Nun ging alles sehr schnell, ich kann mich nur noch in dünnen Schleiern an das Geschehen erinnern. Leomar gab uns schnelle Anweisungen, wie wir uns aufzustellen hatten, um DeLinth’s Sohn Shafir in unserer Mitte zu schützen. Mir selbst sagte dies alles eher nichts, hatte ich kein Verständnis für die taktischen Anweisungen die er gab. Ich versuchte mein Amulett zu aktivieren, aber voller Entsetzen spürte ich meinen Arm schwer werden und die Stimme des Amuletts sprach zu mir. Sie war enttäuscht, dass ich es so lange nicht geputzt hatte. Anscheinend hatte ich seine Gefühle verletzt. So begab ich mich in den Kampf wie ich war.

Die nächsten Sekunden waren voller Verwirrung und von einem verzweifelten Überlebenskampf gekennzeichnet. Ich war so damit beschäftigt mich selbst zu verteidigen, dass ich Salix‘ Misere zu spät erkannte. Er hatte beide Waffen verloren, war gestürzt und von den Ghulen fortgeschleift worden. Erst ein schriller Schrei aus seiner Kehle riss mich aus meiner Fixierung auf den Kampf und ließ mich meine Kameraden wieder wahrnehmen. Dieser kurze Moment der Unachtsamkeit reichte einem meiner beiden Gegner meine Deckung zu umgehen und mich zu beißen. Schmerz pulste durch meinen Arm und ich spürte, wie sich etwas Dunkles in mir auszubreiten begann, wie die Saat des Unglaubens in einem Paktierer.

Nun entsann ich mich wieder meines Amuletts und flehte es um Verzeihung und Hilfe an. Und siehe da, es ließ Gnade walten und stellte mir seinen üblichen Schutz zur Verfügung. Nun spürte ich Zorn in mir aufsteigen und ließ meine Verteidigung außer Acht. Wie im Wahn stach ich auf die Ghule vor mir ein, nicht darauf achtend, dass sie mich immer wieder trafen. Einer nach dem Anderen fiel, auch bei meinen Kameraden zeigte sich nun die Wirkung ihrer Schläge.

Als nun innerhalb weniger Augenblicke die meisten unserer Gegner niedersanken, kehrte Salix in den Fokus unserer Gedanken zurück. Torben erhellte die Krypta mittels eines Flim-Flam und uns bot sich ein schauerliches Bild. Drei der Ghule hatten sich über Salix hergemacht und bereits damit begonnen ihn aufzufressen. Einer hatte ihm die Hand abgebissen und nagte daran. Mit einem lauten Kampfschrei setzten wir ihnen nach und attackierten sie. Doch noch bevor sie alle erledigt waren, schwanden mir die Sinne.

Als ich wieder erwachte, war DeLinth gerade dabei Salix Hand wieder an seinen Arm anzufügen, aber zwei der Finger fehlten unwiederbringlich. Nach einer Heilungsliturgie, die unser aller Kräfte wieder stärkte, erwachte dieser aus seiner Ohnmacht und berichtete, dass er Schamscherib in der Nichtwelt begegnet war. Dieser hatte ihn in seinem Grabmal verflucht und wir sahen nun die Auswirkungen dieses Fluchs. Salix hatte im Kampf keine Chance gehabt. Seine Fertigkeiten waren nicht einmal annähernd mit denen vergleichbar, derer er früher mächtig war.

Noch viel schlimmer war, dass Torben uns berichtete, dass dieser Fluch wohl noch immer auf unserem unglücklichen Gaukler lag. Ich werde ihn in dieser Nacht in seinen Träumen begleiten, vielleicht gelingt es mir zu vermitteln und einen Weg zu finden diese düstere Bürde von ihm zu nehmen.