Aus dem Tagebuch des berühmten Barden und Gauklers Salix Lowanger:
9.RONdra 26 Hal, später Nachmittag
Der Wald wurde immer lichter. Seit dem Mittag konnte man schon den
Salzgeruch des Meeres langsam wahrnehmen, immer stärker, je
weiter wir marschierten. Torben meinte, bald würden wir in
Sumpfgebiet kommen. Und er hatte Recht – und doch wieder
nicht. Denn plötzlich standen wir recht unvermittelt im Freien
am Abhang einer gewaltigen Klippe. Zwanzig Schritt unter uns erstreckte
sich tatsächlich ein Mangrovensumpf. Nach
schätzungsweise achthundert Schritt ging das Land fast
ansatzlos ins Meer über. Einzelne gewaltige Bäume
ragten inmitten des wuchernden Grüns des Sumpfgebietes auf.
Dazwischen etliche silbrig spiegelnde Flächen, wo das Wasser
kleine Tümpel bildete. Unzählige
Fliegenschwärme summten umher wie einst die riesige Kreatur,
die Borbarads Kristallherz bewacht hatte. Und inmitten dieser
Sumpflandschaft ragten riesige Skelette von Seeschlangen empor. Wir
hatten den Friedhof der Seeschlangen gefunden.
Draußen auf dem Meer war ein Schiff zu erkennen, was dort
ankern musste, da es sich auch nach zehn Minuten noch nicht von der
Stelle gerührt hatte. Am Horizont waren einzelne kleine
grüne Flecken aufzumachen. Wohl andere Inseln, wenn ich mich
recht erinnerte. Weiter auf unserer Höhe sahen wir weiter
südlich eine Landzunge, die auf gut und gerne
dreißig Schritt Höhe anstieg und auch dort eine
Klippe war. Darauf, kurz vor der Klippe, stand eine gewaltige Pyramide,
ein uralter Echsentempel. Der Tempel hatte riesige Ausmaße
– er musste an die 50 Schritt Breite auf jeder Seite haben
und bestimmt 25 Schritt hoch sein. Da konnte man die alte Residenz aus
Gareth bestimmt zwei Mal drin unterbringen! Und danach
wäre bestimmt noch Platz für eine Fechtschule da
drin. Ein gewaltiges Gebäude und es stand auf einer Klippe.
Torben hat Recht: Die Echsen müssen verrückt sein!
DeLinth hatte unterdessen den Brief von von Wiedbrück
herausgekramt und studierte ihn genauestens. Von Wiedbrück
hatte den Friedhof der Seeschlangen erwähnt und bezeichnete
ihn als gar grausigen Ort, womit er durchaus Recht hatte.
Außerdem schrieb er etwas von Höhlen. Dort unten
musste also ein Höhlensystem existieren.
Mir fiel noch etwas anderes ein: Sowohl beim Ritual in Dragenfeld, als
auch in Weiden bei Borbarads Fleischwerdung sowie beim Ritual im
Finsterkamm spielte immer eine bedeutende Kraftlinie eine wichtige
Rolle. Ich fragte Torben, ob das diesmal genauso sei. Sein Rubinauge
flammte auf, und nach kurzer Zeit meinte er, er könne
keinerlei Kraftlinien erkennen, die durch den Tempel gingen oder
irgendwie in der Nähe sichtbar seien. Seltsam, aber ich
vertraue da auf Torbens Untersuchungen.
Wir entschlossen uns, durch den Dschungel dichter an die Landzunge zu
kommen, um vor allzu neugierigen Blicken aus dem Tempel
geschützt zu sein. Langsam näherten wir uns durch das
Dickicht, als Torben plötzlich ein Armbrustbolzen vorne im
linken Schenkel steckte. Sofort warfen wir uns in Deckung und lauschten
in die grüne Hölle hinein. Da fiel uns auf, dass die
Tiere in der Umgebung verstummt waren.
Mahajin versuchte, schnell in die Deckung des nächsten Baums
zu rennen – vergebens: Plötzlich schlug ein
Armbrustbolzen in seine Brust ein und warf ihn zu Boden! Ich lugte aus
meiner Deckung und sah eine flinke Bewegung im Baum etwa 30 Schritt
entfernt auf etwa zwei Schritt Höhe. Ich rief:
„Dort!“ und zeigte in die Richtung. Daraufhin
guckten alle dorthin. Da schlug ein weiterer Bolzen dicht neben
Thallian ein. Torben legte daraufhin ein Fesselfeld um den Baum, auf
den ich gezeigt hatte und warnte uns. Dann huschte er zum
nächsten Baum, stolperte leicht und hatte einen Bolzen im
Bauch. „Fallen!“, war sein Ruf.
Aus einer anderen Richtung wurde Thallian getroffen. Diesen
Schützen hatte DeLinth bemerkt. „Zweiter
Schütze, auf Rahjastund, fünf Schritt
hoch!“, warnte er uns. Mahajin sprang vor und versuchte in
Deckung vor beiden Schützen zu bleiben. Das gelang ihm auch
– er stürzte in eine Fallgrube, etwa drei Schritt
tief, gefüllt mit Skorpionen, Käfern und
Maraskanfedern. Doch er hatte Glück im Unglück: Eine
einzige der Maraskanfedern fand eine ungeschützte Stelle und
biss zu – doch sofort konnte unser Kamerad das kleine
Mistvieh erschlagen, bevor er ansonsten unversehrt aus der Grube
kletterte. Ich war in der Zeit etwas weiter nach rechts
ausgeschwärmt – was mir einen Armbrustbolzen in die
Brust bescherte. Doch die meiste Wucht blieb in der Rüstung
hängen, so dass ich mir diesen leicht entfernen konnte.
Zurück blieb eine Stichwunde, die zwar ein bisschen sabberte,
aber nicht bis in die Lunge vorgedrungen war.
Hinter mir sah ich DeLinth irgendetwas am Boden zu untersuchen.
Plötzlich wackelte der Busch vor ihm. Er hatte, wie er
später erzählte, eine Schnur gefunden und vermutete
eine weitere Schussfalle. Doch da war keine. Vorsichtshalber
durchtrennte er die Schnur mit einer kleinen Flammenlanze. Dann erklomm
er den Baum mit einer Eleganz, wie ich sie wahrscheinlich nur selten
hinkriegen werde, und betrachtete forschend die Gegend.
Firunja hatte unterdessen einen Exposami gesprochen der ihr leider
nicht viel nutzte: Aus einem Busch neben ihr sprang eine Gestalt,
komplett mit Pflanzen behängt, am Körper einen
Hartholzharnisch, der mit grünen und braunen Flecken bemalt
war. Die Gestalt hieb zwei Mal mit einem Nachtwind auf Firunja ein und
verschwand mit ein paar schnellen Sätzen in Richtung DeLinth.
Was für eine einzigartig kluge Idee! Unser Freund feuerte eine
Flammenlanze auf den Typen in seiner Tarnung. Irgendwas musste schief
gelaufen sein, denn seine Tarnung fing zwar kurz Feuer, erlosch aber
gleich darauf wieder. Nach einiger Zeit schoss DeLinth eine weitere
Flammenlanze in den Dschungel und verbrannte damit etwas Tarnung von
einem Hochstand, wie sie Jäger gerne verwenden.
Erst jetzt fiel mir auf, dass Firunja zum Steinerweichen schrie. Sie
musste unendliche Schmerzen erleiden, geradezu höllische
Schmerzen. Da fiel mir etwas ein. In Liscoms Festung hatte ein Zwerg
einmal einen ähnlichen Zauber auf mich gewirkt. DeLinth musste
von diesem Zauber schon einmal gehört haben, denn er kletterte
wieder von seinem Baum, lief zu Firunja und gab ihr eine
kräftige Ohrfeige, worauf sie sich wieder beruhigte. Torben
versuchte unterdes die Gestalt mit seinem Flammenden Tod zu erwischen.
Doch auch dieser zündete nicht.
Thallian und Mahajin hatten inzwischen den zweiten Ort erreicht, aus
dem ein Bolzen gekommen war, ebenfalls ein Hochstand. Thallian
kletterte hoch und fasste direkt in einen Nagel, der mit Gift bepinselt
war. Mahajin brüllte sofort: „Torben! Thallian ist
vergiftet!“ Torben reagierte und lief in Richtung der beiden.
Dabei stolperte er und fiel auf einen Stock, der ebenfalls mit Gift
bestrichen war. Dieser verfing sich jedoch glücklicherweise so
sehr in der Robe, dass er ihm nicht mehr schaden konnte. Wieder hatten
wir Glück im Unglück. Ich hielt mich weiter rechts in
der Hoffnung, einen der Kerle irgendwann von hinten zu erwischen. Etwas
raschelte im Gebüsch, sprang auf… und
flüchtete. Ich hatte eine maraskanische Maus offenbar zu Tode
erschreckt.
Torben war bei Thallian angekommen und heilte ihn mit einem
Klarum-Purum Zauber. DeLinth robbte ebenfalls in diese Richtung. Dabei
übersah er eine Schlinge, in die er mit der linken Hand
tappte, und wurde katapultartig nach oben geschleudert. Kaum, dass er
gut sichtbar in der Luft herumbaumelte, zischte ein Bolzen dicht an
seinem Körper vorbei. Dann sah er jemanden aus dem
Gebüsch weiter nach hinten rennen. Ein feines Spielchen hatten
sich unsere Gegner da ausgedacht! Unser Freund wollte dort
offensichtlich nicht noch weiter abhängen. Er schnitt sich
also los, und wir sammelten uns. Dabei löste Firunja eine
weitere Falle aus – ein gespannter Ast traf sie in
Bauchhöhe, doch dessen Spitzen verhedderten sich in ihrem
Umhang, ähnlich wie bei Torben zuvor.
Wir sahen uns genauer um und erkannten nun endlich fünf
weitere Hochstände, bei zweien waren wir im direkten
Schussfeld. Die Hochstände waren etwa jeweils
dreißig Schritt auseinander, dazwischen hatten unsere Gegner
Fallen platziert, meistens zwischen zwei Deckungen. Mahajin kletterte
auf den Hochstand, an dem wir gerade standen, und meinte, es liege eine
Armbrust darinnen. Dann kletterte er wieder runter und holte unser
Gepäck.
Torben meinte unterdessen: „Moment! Da liegt eine Armbrust
drin?“ Dann kletterte er hoch und nahm diese auf. Noch so
eine einzigartig kluge Idee! Mit einem Donnern zerbarst der Hochstand
in einem gewaltigen Feuerball und unser Freund flog in hohem Bogen in
den Dschungel. DeLinth robbte sofort hinterher. Phex war mit den
beiden: Neben Torben war sein letzter Heiltrank gelandet, deutlich
erwärmt aber in wundersamer Weise unversehrt. Sofort bekam
Torben diesen eingeflößt, während neben den
beiden ein weiterer Bolzen einschlug. Mahajin antwortete mit einem
Pfeil, der den Schützen jedoch deutlich verfehlte. Da von
seiner Kleidung nichts mehr übrig war, zog Torben jetzt seine
Ersatzrobe aus dem Rucksack an, immer noch total empört und
verdattert darüber, dass jemand eine Armbrust mit einem
Ignisphaero-Zauberspruch versieht. Anschließend sprach
Thallian einen Heilungssegen, um die Wunden von uns anderen zu heilen.
Als Gruppe pirschten wir weiter voran, diesmal deutlich darauf bedacht,
den Hochständen auszuweichen und unterwegs die Fallen zu
entschärfen. Auffällig war, dass so gut wie keine der
Fallen Metall aufwies. Unsere Gegner schienen bemerkt zu haben, dass
wir jetzt besser vorgingen, denn sie beschlossen, die Sache zu beenden:
Am nächsten Hochstand flog ein Diskus zwischen uns.
Während wir uns in Deckung warfen, entzündete sich
der Diskus, und plötzlich stand der Urwald in Flammen. Dieses
Inferno vergrößerte sich mit rasender
Geschwindigkeit. Wir flüchteten, wobei Firunja stolperte und
von DeLinth und Thallian nur mit deutlichen Verbrennungen vom Feuer
weggezogen werde konnte.
Kaum hatten wir eine Stelle erreicht, an die das Feuer nicht mehr kam,
hörten wir einen tiefen Kampfschrei. Aus den Büschen
kam eine Gestalt mit einem Doppelkhunchomer auf uns zu, ein Novadi, ein
kleines Stückchen größer als ich, die Waffe
fast ebenso groß! Mahajin stellte sich dem Novadi in den Weg,
wurde jedoch mit einem einzigen Hieb weggewischt, flog 5 Schritt durch
die Luft und blieb bewusstlos liegen. Während Thallian von
Firunja abließ und sich auf die Gaben der göttlichen
Leuin konzentrierte, schwang der Novadi seinen Doppelkhunchomer und
versuchte, mich mit einem gewaltigen Hieb zu zerteilen.
„Gegen dieses Riesendings dürfte auch der
Stasisdolch völlig nutzlos sein“, dachte ich mir.
Ein Kreuzblock wäre zwar möglich gewesen, aber mit
meinen filigranen Waffen auch ziemlich riskant. Deshalb wich ich dem
Riesensäbel geschickt aus und stieß meinerseits
Lamach’ros in seine Richtung. Er parierte meine Klinge und
brüllte mich an: „Fürchte dich!“
Das half! Unzählige Gedanken flogen durch meinen Kopf. Mir
wurde tatsächlich bange! Was konnte der noch alles? Der
schummelt! Flugs aktivierte ich mein Schutzamulett.
Unterdessen flog an Thallians Ohr ein Wurfstern vorbei und der getarnte
Maraskaner rannte mit gezogenem Nachtwind auf uns zu. Torben
schleuderte ihm eine Ignifaxius-Flammenlanze entgegen, der der
Maraskaner jedoch problemlos ausweichen konnte. Damit hatte Torben
seine gesamten arkanen Kräfte verbraucht. Inzwischen zielte
ich etwas zögerlich direkt an der Rüstung des Novadis
vorbei. Tief bohrte sich Lamach’ros in seinen Leib. Er sah
mich an, erst verdutzt, dann ziemlich wütend und gab mir eine
Kostprobe seines riesigen Khunchomers. Rondra, hatte der
Kräfte!
Der Maraskaner attackierte DeLinth mit seinem Nachtwind, was dieser
jedoch mit seinem Magierstab parieren konnte. Daraufhin sprang der
Maraskaner hoch und trat unserem Freund aus einer Drehung heraus an den
Kopf. Torben teilte zwei Hiebe mit seinem Stab aus, denen der
Maraskaner jedoch auswich. Thallian rief seine
Herausforderung, der Novadi möge sich ihm im gerechten,
göttergefälligen Zweikampf stellen, was diesen jedoch
ziemlich kalt ließ. Stattdessen parierte er meinen Stich, der
ansonsten erneut an seiner Rüstung vorbei gegangen
wäre. Wieder zu zögerlich! Als Antwort wuchtete er
den riesigen Stahl in meine Richtung, dem ich erneut auswich.
Der Maraskaner teilte zwei unglaublich schnelle Hiebe auf DeLinth und
Torben aus, was beide jedoch sicher parieren konnten. Torben traf ihn
seinerseits, während DeLinth seinen Zauberstab in
ein Flammenschwert verwandelte. Thallian forderte den Novadi
erneut heraus, diesmal bedeutend zorniger. Doch das half wieder nicht:
Erneut sirrten unsere beiden Klingen, diesmal jedoch deutlich vorbei.
Da rannte Thallian auf den Novadi zu und stand ihm direkt im
Rücken. Er wollte doch nicht etwa? Schnell rief ich:
„Da! Hinter dir!“ und zeigte auf Thallian, worauf
sich der Maraskaner tatsächlich umdrehte. Es war fast zum
Lachen, das hätte ich mal früher versuchen sollen!
Wie dem auch sei, Torben und DeLinth hatten inzwischen ihren Gegner
tatsächlich getötet, ich sah noch den letzten Hieb,
den Armant ausführte, ein fantastischer Schwung. Wieder
überraschte mich der alte Mann deutlich.
Thallian duellierte sich mit seinem Gegner, während Torben und
ich uns bereitstellten, einzugreifen, falls Thallian fallen sollte.
Armant kümmerte sich inzwischen um Mahajin und Firunja.
Mehrmals trafen die beiden Waffen mit dem Ton einer hell klingenden
Glocke aufeinander, Thallian konnte ein, zwei Treffer landen, bevor er
von der Waffe des Novadis regelrecht aufgeschlitzt wurde.
Während dieser seine Waffe in die Luft riss und rief:
„Xarfai! Ich habe gesiegt!“, traf ihn ein Wurfstern
von Torben im Gesicht. Viel mehr jedoch interessierte ihn meine Klinge,
die sich wieder in seinen Leib bohrte.
Er schlug wieder zu, ein Schlag, dem ich besser auswich. Dann fauchte
er mir ein „Kriiiiiiecheee!“ ins Gesicht. Mein Herz
sank noch weiter. Wie in Rondras Namen sollte ich den noch besiegen?
Wieder stach ich zögerlich zu. Doch er hatte mit einem
deutlich schnelleren Rapier gerechnet und parierte ins Leere. Torben
schlug dem Novadi zwei Mal in den Rücken, was der Novadi
jedoch fast schon blind nach hinten parierte. Dem nächsten
Stich konnte er ausweichen, und ich sah, dass sich ein paar Wunden zu
schließen begannen. Und wie der schummelt!
Dann griff Mahajin an (wo kam denn der plötzlich daher,
wunderte ich mich noch) und traf ihn prompt, Torben gab ihm noch einen
Hieb auf den Kopf, und als meine eigene Klinge auch noch mal traf,
verließen ihn doch die Kräfte. Er stürzte
tot zu Boden. Thallian lag auf dem Rücken, die Bauchdecke
geteilt. Doch unvermittelt schlug er die Augen auf und stammelte:
„Ich bin tot!“ Dann sah er an sich herunter.
„Ich müsste tot sein!“
Nachdem wir uns zuerst alle ziemlich gewundert hatten, merkte DeLinth
an, dass wir einen wichtigen Auftrag der Boronkirchen zu
erfüllen hätten und Boron diesen Auftrag wohl gerne
erfüllt sehen möchte. Firunja sprach einen Heilsegen,
dann nahm Thallian den letzten Heiltrank zu sich und stand unversehrt
wieder auf. Mahajin, Firunja und ich teilten die Reste des
Einbeerentranks unter uns auf, dann besahen wir uns unsere beiden
Gegner genauer.
Der Maraskaner hatte einen Schnauzbart, schwarze Haare, war recht klein
und sehr kräftig. Außerdem hatte er eine lange Narbe
am rechten Unterarm. Der Beschreibung nach hatten wir hier gegen Dajin
Manjial gekämpft, den – wohl ehemaligen –
Anführer der Uljaykim. Zum Novadi gab es nichts Weiteres zu
sagen. Beide allerdings bluteten selbst jetzt, nach ihrem Tod aus
einigen Wunden, die wir ihnen geschlagen hatten.
Torben nahm sich drei vergiftete Wurfsterne von Dajin, ich den
Hakendolch. Hakendolch? Ob das der Maraskaner von Korobar war, gegen
den die Agententruppe von Wiedbrücks auf dem Weg nach
Dragenfeld gekämpft hatte und der unseren Kameraden Vasili
getötet hatte? Jedenfalls gelangten wir danach unbehelligt zum
Tempel.
Endlich an der Landzunge angekommen, sahen wir etliche Büsche,
etliche geborstene Steinquader und am Ende der Zunge, kurz vor dem
Abgrund, ragte die Pyramide empor. Verschiedene Gerüche
schlugen uns mit dem abendlichen Wind entgegen: Meer, Fisch,
Schweiß und Fäulnis. Die Sonne würde bald
untergehen, nicht einmal eine Stunde schätzte ich. Ich trat an
den Rand der Klippe und blickte herab. Unter mir sah ich das Meer,
tiefblau und klar, ein wunderschöner Anblick. Fast
überall konnte ich bis zum Boden sehen. Doch direkt unter der
Klippe verschwand der Boden; das Blau war an dieser Stelle sehr dunkel,
fast schwarz. Wird Efferds dämonische Widersacherin nicht auch
die Herrin der nachtblauen Tiefen genannt? Am Rand der Klippen konnte
ich eine Höhle ausmachen, aus der ein leiser Singsang erklang
wie von einer Beschwörung.
Wir stiegen die Treppe der Pyramide empor, nicht wirklich für
eine menschliche Schrittgröße konstruiert. Thallian
blickte erst einmal durch die Eingangsöffnung. In einem Raum
am Ende eines längeren Ganges standen zwei Achaz. Firunja und
Mahajin legten je einen Pfeil auf und schossen gleichzeitig. Firunja
schaltete ihr Ziel mit einem wunderbaren Kopftreffer aus, Mahajin traf
ebenfalls. Da er seinen Pfeil vergiftet hatte, sank der Achaz ebenfalls
ziemlich schnell in sich zusammen und zappelte noch etwas auf dem
Boden, bevor ihn Sumus Hauch verließ. Doch ein Dritter Achaz
war außerhalb des Sichtfelds gewesen und rannte nun laut
schnatternd auf uns zu, in den Händen eine ziemlich
große Axt. Firunja jagte ihm noch einen weiteren Pfeil in die
Brust, dann war er an Thallian dran und ging in den Nahkampf. Funken
stieben, als beide Kingen aufeinander trafen. Mahajin gab ihm einen
Hieb mit seinem Bastardschwert, worauf die Echse in die Knie sank. Doch
der Schwanz des Geschuppten zuckte vor und ein dort angebundener Dolch
schlug in Mahajins Rüstung ein. Thallian beendete das Leben
der Echse mit einem letzten gewaltigen Hieb.
Der Eingangskorridor hatte vier Nachbarräume. Der erste, den
wir untersuchten, war eine Schmiede, genauer gesagt eine
Zauberschmiede. Neben dem entsprechenden Werkzeug fanden sich eine
schwarze Aktenmappe, ein kaputter Harnisch aus schwarzem Stahl und drei
Barren aus einem schwarzen Metall. Die Mappe enthielt etliche Notizen,
offenbar das Werkstagebuch des Zauberschmieds Thengar Otgrimsson,
geschrieben in einer kruden Mischung aus Zhayad und Thorwalsch. Mahajin
überflog die Einträge und berichtete, dass hier
Endurium und Mindorium zu drei Schwertern geschmiedet wurden.
Hörbar klappte Torbens Kiefer nach unten. Beiliegend fand sich
auch eine Zeichnung der Schwertknäufe mit ihren Namen.
Deutlich waren jeweils drei Zhayadrunen auf jedem Schwert auf der
Skizze zu erkennen: GMT auf dem Schwert Athai-Naq, CPT auf Yamesh-Aquam
und BSR auf der Klinge Hyrr-Kanhay. DeLinth erklärte, diese
drei Schwerter seien drei Erzdämonen geweiht: Agrimoth, dem
Schänder der Elemente, Charyptoroth, der unbarmherzigen
Ersäuferin und Belshirash, dem Jäger der Verdammnis.
Ich überlegte, was ich von diesen Erzdämonen wusste.
Mit einem agrimothschen Dämonen hatten wir hier auf Maraskan
bereits Bekanntschaft gemacht und Belshirash kannte ich unter dem Namen
Nagrach: Einer der Orks ins Greifenfurt hatte mit einem Nagrachpfeil
damals während der namenlosen Tage ein "Gottesurteil"
vollzogen, um die Bevölkerung Greifenfurts zum Aufgeben zu
bewegen. Mit der Herrin der nachtblauen Tiefen oder ihren
Geschöpfen war ich bisher – den Zwölfen sei
Dank – nicht in Berührung gekommen.
Zwei weitere Räume waren Schlafräume mit, grob
geschätzt, zwanzig Betten. Großartig! Der Singsang
von unten wird von einer vier- bis fünffachen
Übermacht geführt. Wir durchsuchten die
Habseligkeiten bei den Betten. Der wichtigste Hinweis darunter
bestätigte unsere Vermutung: Wir fanden ein Offizierspatent,
ausgestellt auf den Namen Praiotin von Rallerau. Zusätzlich
fanden sich noch zwei weitere Truhen; eine große mit einem
Vorhängeschloss, eine kleine mit einem eingebauten Schloss.
Torbens Rubinauge flammte auf, worauf ihm seltsamerweise ein Tropfen
Blut aus dem Augenwinkel lief. Er schien es nicht weiter zu bemerken.
Er meinte, die kleine Truhe sei magisch gesichert, sowohl mit einem
Claudibus- als auch mit einem Custodosigil-Spruch. Zusätzlich
konnte er das Losungswort entziffern. Er ging zur kleinen Truhe hin und
murmelte: "Khezarra!", woraufhin die Truhe aufsprang. Das Schloss der
großen Truhe hatte ich mit ein paar Werkzeugen aus der
Schmiede recht schnell offen.
In der großen Truhe fanden sich Paraphernalia für
Beschwörungen aus den Domänen der Erzdämonen
Agrimoth, Charyptoroth und Belshirash. Am deutlichsten waren die
Paraphernalia der unbarmherzigen Ersäuferin verbraucht, einige
von Firuns Widersacher waren noch vorhanden und von Ingerimms
erzdämonischem Gegner war der Beutel auch fast
vollständig aufgebraucht. Weiterhin fanden sich einige
Vorräte an Shuriknolle und Kelmon.
Die kleine Truhe enthielt ein stark gekürztes Arkanum mit
etlichen handschriftlichen Anmerkungen. Weiterhin zwei
Astraltränke, die Torben selig grinsend austrank.
Außerdem Aufzeichnungen, in denen die Namen Azaril
Scharlachkraut und Urdo von Gisholm häufig zu finden waren.
Scharlachkraut hatte laut den Aufzeichnungen mit Rondriago ya Cravetti
Kontakt. Der Name… genau! Ya Cravetti war ein Borbaradianer,
der in Bethana an einer Eclipifactus-Variante, nämlich mehrere
Schatten gleichzeitig zu beschwören, geforscht und sie
offenbar auch weitergegeben hatte. Das war damals eine ziemlich
große Sache, über die im Salamander
ausführlich berichtet wurde. Wenn ich diese Notizen richtig
deute, hat Scharlachkraut Abschriften von Ya Cravettis Thesen erhalten.
Die Zwölfe stehen uns bei!
Urdo von Gisholm… Der Name löste eine Erinnerung
aus – die DaMerinals völlig aufgelöst, in
Angst und Sorge um ihren Sohn Colon. Von Gisholm hatte sie als
Ortskundiger in Richtung Khunchom an der Gor vorbei geführt.
Und nun findet er in diesem Tagebuch Erwähnung. Damals hatten
wir uns nicht weiter um den Namen gekümmert. Offenbar
gehörte Gisholm damals zu Licoms Bande; nun hatte er sich
dessen Meister angeschlossen, Borbarad. Den Aufzeichnungen zufolge
treibt er sich inzwischen bei einem Borbaradianerzirkel in Fasar rum.
Interessant war noch, dass am 13. RON ein großes Ritual
stattfinden soll, um einen direkten Weg von Aventurien in die
Niederhöllen zu öffnen. Das muss in der Prophezeiung
mit den Pforten des Grauens gemeint sein. Sämtliche Schriften,
den Harnisch und das Endurium brachten wir zu unserem Gepäck.
Der vierte Raum war abgedunkelt und roch nach Krankheit und Verwesung.
Auf einer Pritsche fanden wir einen Menschen, der sichtbar am Ende
seiner Kräfte war. Abgemagert, zitternd, die Haut
schälte sich von seinen Knochen. Torben trat mit einem
gemurmelten "Was hat denn der arme Mann?" näher, als Firunja
und ich wie aus einem Mund antworteten: "Duglumspest!" In Greifenfurt
hatte ich damit bereits Bekanntschaft gemacht, auch wenn ich den
Verursacher – den verfluchten Eugalp – mit Hilfe
von Travins magischem Degen in die Flucht schlagen konnte. Im
Nachhinein das deutlich bessere Schicksal für Greifenfurt, die
derischen Überreste dieses Dämons hätte wohl
keiner gerne beseitigt.
Soweit ich weiß, überträgt
tatsächlich nur der Eugalp die Duglumspest. Wo also kam der
her beziehungsweise wer hatte ihn beschworen? Wenn der Sterbende vor
uns tatsächlich einer der Magier war, die unter anderem
für die Ignisphaero-Fallen an den Armbrüsten
verantwortlich waren, warum war dieser verpestet worden? Oder hatte er
sich etwa mit den falschen Kräften, sprich Peraines
dämonischer Widersacherin Mishkara, eingelassen? Falls ja,
verdiente er sein Schicksal durchaus.
Firunja fügte nach einem weiteren kurzen Blick hinzu, dass
sich die Krankheit bereits im sechsten Stadium befand. Er stand also
unausweichlich kurz vor einem ausgesprochen grausamen Tod. Armant
erbarmte sich seiner und bereitete seinem Leiden ein schnelles Ende.
Wir verließen den Raum und schritten den von der
Eingangshalle abzweigenden Gang entlang tiefer in die Pyramide. Nach
einiger Zeit betraten wir einen Ritualraum, der nicht wirklich den
Eindruck von Stabilität vermittelte: Boden und Wände
waren rissig, in der Mitte das Raumes führte ein bestimmt zehn
Schritt hoher Quader bis zur Decke, verziert mit Gwen-Petryl Steinen
und etlichen unheiligen Symbolen. Irgendwo im Boden gähnte ein
recht tiefes schwarzes Loch, aus dem leise dunkle Gesänge
ertönten. Thallian, Mahajin und Torben schritten voran,
während Firunja, ich und zu meinem
allergrößten Überraschen Armant
zögerten und uns zunächst einig waren, unseren
Freunden den Rücken zu decken. Nach kurzer Zeit sahen wir uns
betreten an, zerschlugen wir die unheiligen Symbole und folgten dann
unseren restlichen Gefährten in das schwarze Loch.
Das Loch führte in einen langen Gang abwärts. Die
Wände waren mit grünem Pflanzenzeugs
überwuchert, was ich nicht wirklich zuordnen konnte. Je tiefer
wir kamen, desto stärker ging die Farbe ins Blaue
über.
Der Gang endete an einer großen Steintür mit einem
Schloss darin. Nach einigen kurzen Versuchen mit ein paar
Drähten hatte ich den Mechanismus verstanden und die
Tür entriegelt. Hinter der Tür war der Gesang
deutlich besser zu hören. Hier und da zweigten vereinzelte
Gänge oder Räume von unserem Weg ab. Wenn wir keinen
Anhaltspunkt gehabt hätten, hätten wir locker drei
Wochen damit verbringen können, den richtigen Raum zu finden.
Doch durch den unheimlichen Singsang wurde uns der Weg von unseren
Gegnern praktisch gewiesen.
Schließlich gelangten wir in eine riesige Höhle, in
der sich uns ein unglaublicher Anblick bot…