Aus dem Tagebuch des berühmten Barden und Gauklers Salix Lowanger:

1. PERaine 24 Hal, später Nachmittag

Nachdem die beiden verletzten Harpyien sich entfernt hatten, flog der Greif auf uns zu. Als er landete sanken wir auf die Knie. „Ich bin Aurartan“, stellte er sich vor. Torben fing nervös an zu reden, wurde jedoch sogleich von Aurartan nieder gestarrt und verstummte. Praiogard war auf die Knie gesunken und hielt ihre Tochter dem Götterboten entgegen. Dieser streichelte der Kleinen sanft über den Kopf. Firunja ergriff das Wort und stellte uns vor. Dann legte sie dar, dass wir uns auf einer PRAios gefälligen Queste befinden. Im weiteren Verlauf des Gesprächs diskutierten dann auch Praiogard und Thallian mit.
Irgendwann kam Aurartan auf die Orakelsprüche zurück.

„PRAios ist auch Gott der Gesetze“, verkündete er. „Ohne Gesetze kann keine Gerechtigkeit existieren. Und welche Gesetze sind stärker als die der Logik?“ Dann legte er dar, dass die einzelnen Orakelsprüche tatsächlich zusammengenommen ein Logikrätsel ergeben. Fassungslos schüttelte ich stumm den Kopf. So einfach! So schön! So offensichtlich! Und wir waren so blind!

Dann gab er uns den nächsten Orakelspruch: „Wenn in Al’Anfa Ketzer verurteilt werden, werden weder in Kuslik noch in Drôl Tempel gesegnet.“ Danach nahm er Praiogard, ihr Kind und mich in die Linke, Thallian und Firunja in die Rechte und erhob sich in die Lüfte. Wie damals auf den Pegasi genoss ich nach einem kurzen Augenblick erschreckten Erstaunens das Gefühl der Schwerelosigkeit. Es muss wunderbar sein, so etwas aus eigener Kraft zu beherrschen!

In der Feste Greifenstein setzte er uns dann ab. Ausgesprochen verblüfft und vorsichtig traten die Soldaten näher. Einer fragte dann auch nach Gundel und den beiden Magiern. Die waren zurück in der Greifenklamm  im Tasch geblieben.

Firunja überlegte kurz und schlug dann Alarm: Sie meinte, der Greif hatte uns aus einem bestimmten Grund hergebracht. Wenn wir so schnell in der Feste zurück sein sollten, musste ein Angriff unmittelbar bevor stehen. Der Alarmruf wurde sogleich weiter gegeben. In wenigen Augenblicken war die gesamte Festung kampfbereit. Doch nichts passierte. Und das blieb so. Nach etwa einer halben Stunde fragte der Kommandant, Hauptmann Alrikshuber vorsichtig, ob sich Firunja wirklich sicher war, dass ein Angriff unmittelbar bevorstünde. Er blies den Alarm ab, befahl jedoch weiterhin doppelte Wachen in Alarmbereitschaft.

2. PERaine 24 Hal, morgens
Torben und Armant tauchten mitten in der Nacht im Lager auf. Torben hatte einen Luftdschinn  beschworen; mit ihm waren die beiden zur Feste zurück geflogen. In Sichtweite der Feste aktivierte Armant noch einen Flimflam, was von den übernervösen Wachen als Angriff gewertet wurde. Torben wurde prompt von einem Armbrustbolzen getroffen.

Kurz nach ihrer Landung erzählten sie die ganze Geschichte etwas genauer: Am abendlichen Lager sei plötzlich eine grün getigerte Elfenkatze aus dem Dunkel durch das Lagerfeuer in Sichtweite gehopst, hatte sich ausgiebig geputzt und dann verkündet: „Eure Freunde sind in der Feste Greifenstein. Begebt Euch dahin! Sie erwarten Euch.“ Dann sprang sie davon in die Dunkelheit. Daraufhin hatte Torben angefangen den Dschinn zu beschwören, woraufhin Gundel schreiend das Weite suchte. Armant griff noch nach ihrem Rucksack, dann flogen die beiden praktisch sofort los. Was dem Thallian sein Seil, ist den beiden ihre Gundel! Lassen sie des Nächtens völlig alleine am Rand der Messergrassteppe und nehmen sogar die Ausrüstung mit! Der Kommandant schickte auch sofort eine Patrouille los, um Gundel zu suchen.

Wir hingegen werden am nächsten Morgen aufbrechen, um in Elenvina mit dem anderen Boten des Lichts, dem Lumerian Hilberian Praiofold III. zu sprechen.



25. INGerimm 24 Hal, früher Abend
Vorhin hatten wir unsere Audienz beim Lumerian Hilberian Praiofold III, einem hoch gewachsenen Mann mit strahlend blauen Augen. Für die Ereignisse rund um Borbarad interessierte er sich keinen Deut. Typisch Elenviner!

Über die Botschaft Jariels war er durchaus verwundert. Im Grunde sagte er jedoch genau das Gleiche: Er wolle keinen offenen Kampf und ist einem persönlichen Treffen durchaus zugetan.  Allerdings müsste das in Elenvina sein. Ohne ein deutliches Zeichen PRAios’ werde er jedoch von seinem Amt nicht zurücktreten. Genau wie Jariel Praiotin erklärte er, wenn er ein entsprechendes Zeichen bekäme, würde er durchaus sofort zurücktreten. Hoffentlich wertet er ein von PRAios gesandtes Rätsel als Zeichen! Elenviner Dickkopf!

Dann machte er uns noch eine weitere Prophezeiung: „In Elenvina scheint die Sonne am hellsten genau dann, wenn in Harben ein Tempel gesegnet wird.“

26. INGerimm 24 Hal, früher Abend
Heute hatten wir eine Audienz bei Jast Gorsam vom Großen Fluss. Er hörte sich alles Mögliche interessiert an, was wir ihm an Kunde brachten. An Borbarad war er praktisch überhaupt nicht interessiert, an der Meinung des Reichsbehüters umso mehr. Elenviner Speichellecker! Die Armee, die der Heliodan zusammengestellt hatte, sorgte ihn am meisten. Auch er fürchtete einen Bürgerkrieg. Ihm sei am wichtigsten, ein starkes Volk zu haben, vereint unter (s)einem Banner. Wenn der Kaiser werden könnte, würde er’s wohl sofort tun, dachte ich bei mir. Den Zwölfen sei Dank, dass dem Reichsbehüter Brin, Königin Emer und ihre drei Kinder im Weg stehen! Theoretisch hätte ja selbst Answin von Rabenmund Ansprüche vor Jast Gorsam.

Wir erfuhren noch, dass auch auf Balträa ein PRAiosorakel sei. Das hat bestimmt die eine oder andere Weissagung auch für uns! Doch ich werde erst einmal nach Gareth ziehen. Nachdem ich meinen Freunden gegenüber angedeutet habe, dass mein diesjähriger Beitrag mit Sicherheit den Elu Silbersang zweistimmig untergehen lässt, änderten sie tatsächlich ihre Pläne und begleiten mich jetzt zum Turnier.

1. PRAios 25 Hal
Langsam werde ich unruhig. Der große Auftritt rückt immer näher… HESinde, was bin ich froh, dass du mir die Weisheit gabst, meine Strophen vorher von da Vanya absegnen zu lassen!

2. PRAios 25 Hal, abends
Was für ein Auftritt! Die ersten drei Strophen lang fürchtete ich, dass mir die Stimme versagen würde, so nervös war ich. Noch nie hatte ich ein dermaßenes Zittern in der Stimme, jeden Moment glaubte ich, gleich zusammenzubrechen und „Ich kann es nicht!“ zu wimmern. Aber ich hielt durch! Und es hat sich gelohnt! Nach meiner Darbietung bekam Elu „Ich-singe-viel-besser-als-du-und-das-auch-noch-zweistimmig“ Silbersang nur noch höflichen Applaus. Tja, Spitzohr, es zahlt sich halt doch aus, die Zwölf zu verstehen, die seltsamen Rituale der sie anbetenden Rundohren und die daraus erweckten Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte! Ha!

Der eigentliche Lacher für mich war aber, dass selbst Jergan Bukherdal erschienen war, um sein Glück mit der neu vertonten Ogerschlachtballade zu versuchen. Sein Blick, als ich meine Ballade beendete, sprach folgenden Satz: „Ihr Zwölfe helft mir!“ Diese haben jedoch einen ganz klaren Gerechtigkeitssinn – Jergan wurde so nervös, dass er seine Laute falsch stimmte und ins Stottern kam. Das sollte ihn lehren, noch einmal Gedichte von jemand anderem zu „verbessern“!

4. PRAios 25 Hal, abends
Unglaublich! Die Stimmung der Lieder wirkte immer noch nach. Die Geschichte Korobars fand stärkeren Anklang, als ich es von den Tavernen her gewohnt bin; einige Zuschauer forderten sogar lautstark das Gedicht von der Ogerschlacht! Und als ich nach Korobars Ende dann auch noch erzählte, wie die Vampirplage in Weiden ihr Ende nahm, waren die Leute wieder ganz aus dem Häuschen. Hinterher hörten Alina und ich uns auch mal in den Tavernen um. Nicht einer fragte sich, wie das alles anfing oder warum sich die Vampire in der Nacht am Nachtschattenturm versammelt hatten. Es war ihnen völlig egal!

5. PRAios 25 Hal, abends
Fantastisch! Die Szene der drei blinden Magier findet immer noch genauso Anklang wie der berühmte Monolog „Mein, oder nicht sein“ aus Lamhet. Und auch hier konnte ich zwei recht unbekannte Szenen aus inzwischen wahrscheinlich von Ratten zerfressenen frühen Werken des großen Dschonn Woo, die ich ein wenig umgeschrieben hatte, gut unterbringen.

6. PRAios 25 Hal, abends
Wie üblich konnte mir in meiner Paradedisziplin, Akrobatik und Gaukeleien niemand etwas vormachen. Ein paar der Jungspunde dachten, ich sei durch mein graues Haar nicht mehr annähernd so beweglich wie früher. Ja, hallo? Es heißt Handstand, nicht Haarstand!

7. Praios 25 Hal, abends
Dass mir der Sieg nicht mehr zu nehmen war, wurde mit jedem Tag immer deutlicher! Als ich vor der Siegerehrung über den Marktplatz schlenderte hörte ich die Ballade in vielen Ecken, aus talentierten und weniger talentierten Mündern. Die Siegerehrung selbst war ein wirklich erhebender Augenblick! Heute kann mir Borbarad den Buckel runter rutschen! Heute bin ICH der König der Welt!

8. PRAios 25 Hal
Alina war nicht sehr angetan davon, dass wir uns jetzt schon wieder aufmachen, einen Bürgerkrieg zu verhindern. Ich versprach ihr, zurückzukehren, sobald die Orakelsprüche gelöst seien. Da der Heliodan bereits plante, gen Elenvina zu marschieren, haben wir ohnehin nur noch wenig Zeit, insofern wird es nicht allzu schwer sein, diese Versprechen zu halten.

9. PRAios 25 Hal, mittags
Mittagessen in Eslamsgrund. Kaum waren wir in die hiesige Taverne spaziert und hatten angefangen, uns mit dem Wirt über die mögliche Mittagsverpflegung zu unterhalten, rannte ein etwa zehnjähriger Lausejunge raus: „Papa! Papa! Komm schnell! Er ist hier!“ Sein Vater kam auch recht schnell in den Schankraum und erstarrte förmlich. „Tatsächlich!“, stieß er aus. Wir sahen ihn fragend an. „Brugol Pferdepfleger mein Name“ Dann sank er auf die Knie. „Welch eine Ehre, Euch hier zu treffen… Salix Lowanger!“, stammelte er. „Oh, verzeiht! Euer Wohlgeboren, meine ich natürlich!“

Ich lächelte milde. „Salix, für meine Freunde“. Vor Rührung traten ihm fast die Tränen in die Augen. „Ganz, wie ihr meint… Salix!“

„Salix Lowanger? DER Salix Lowanger? Der Salix Lowanger, der nach jedem großen geschichtlichen Ereignis die Herzen der Menschen mit seinen Werken so zu bewegen weiß, dass er anschließend den Bardenwettbewerb im Neujahrsturnier gewinnt?“ Mit dieser Frage beteiligte sich der Wirt am Gespräch.

„Genau dieser Salix!“, ereiferte sich Brugol. „Seid Ihr mit dieser prächtigen Kutsche… Welch dumme Frage, natürlich reist Ihr standesgemäß! Wartet einen Moment!“ Damit lief Brugol nach draußen. „Kuno! Alrik! Versorgt die Pferde der Kutsche hier! Los, los, BEWEGT EUCH GEFÄLLIGST! Wir haben hier Salix Lowanger; ihr wollt doch nicht, dass sich seine wichtige Reise euretwegen verzögert!“

Der Wirt ergriff wieder das Wort. „Euer Wohlgeboren, das Mittag und die Getränke für Euch und Eure Gefährten gehen selbstverständlich aufs Haus.“ Bevor ich mich bedanken konnte, sprach er weiter. „Vielleicht könntest Ihr uns die unglaubliche Ehre erweisen, heute Mittag für uns zu singen, während Ihr auf Euer Essen wartet?“ Er drehte sich um und rannte in die Küche. „HILDAAA!“

Während sich der Ort geschwind in einen Ameisenhaufen verwandelte, drehte ich mich zu meinen Gefährten, ziemlich sprachlos, wie ich gestehen muss. Aber das war nichts im Vergleich zu dem, was in Armant vorgehen musste. Er hatte eine Miene, die Torbens Erzdschinn nicht hätte versteinerter hinbekommen können. Als Reichsberater und Spektabilität war er nicht nur nicht erkannt sondern schlicht ignoriert worden! Und seine Kutsche war kurzerhand zu meiner erklärt worden! Unsere Blicke trafen sich. Ich schmunzelte und zuckte nur hilflos mit den Achseln.

Inzwischen war Brugols Sohn samt seiner Mutter und seinen beiden Schwestern in die Taverne zurückgekehrt. „Komm her, kleiner Mann!“, winkte ich ihn zu mir. Verlegen kam er an. „Wie heißt du?“
„Ich… ich bin Brin“, antwortete er schüchtern. „Brin“, erwiderte ich. „Das ist ein guter Name. Haben deine Eltern dich nach dem Reichsbehüter genannt?“ Brin nickte. „Weil er so ein gütiger Herrscher ist.“ Ich lächelte, „Das ist er. Möchtest du mit mir zusammen singen?“ Brin guckte mich mit großen Augen an. „Darf ich?“ – „Natürlich. Was kannst du denn so?“ Das löste seine Verlegenheit. „Naja, ich kann das, was Ihr auf dem Turnier letzte Woche gesungen habt. Ich meine, das, was immer wieder gesungen wurde.“ – „Gut“, sagte ich, „dann kannst du das nachher singen. Und ich singe die Strophen, was meinst du?“ Brin strahlte. „Au ja!“

Lange Rede, kurzer Sinn – wir bekamen das Mittag, die Getränke und die Versorgung unserer Pferde kostenfrei. Das Mittagessen war mit Sicherheit das Beste, was der Wirt aufbieten konnte; er und Hilda hatten ganze Arbeit geleistet! Dafür musste ich ein paar Lieder singen, und der kleine Brin konnte auch mal vor Publikum singen. Seine Eltern platzten geradezu vor Stolz, abgesehen davon, dass ihnen vor Rührung schier die Tränen kamen. Später meinte Brin zu mir, er will auch mal Barde werden. Außerdem fiel mir auf, dass mich Rovena, die älteste Tochter Brugols mit einem Blick ansah, der mich entfernt an Darians kleinen Verehrer Raidri erinnerte. Nein, eigentlich ging ihr Blick darüber hinaus, es war durchaus neben TRAviagefälliger Zuneigung noch etwas RAHjanisches darin zu finden. Hätte ich das Lied über RAHja angestimmt, mit dem ich seinerzeit Detlef beeindruckte, hätte sie mich wahrscheinlich in den nächsten Heuschober gezerrt!

9. PRAios 25 Hal, abends
Sind vorhin in Ragath angekommen. Wie sich die Bilder gleichen! Diesmal erkannte mich der Wirt, und auch hier gab’s Freigetränke und das Abendessen für die Bezahlung etlicher Lieder. Interessant war, dass später eine Gruppe total verschwitzter Dörfler samt einem Weibel herein kamen. Sie hatten wohl gerade eine Übung abgehalten, in Formation zu kämpfen. Erstaunlich! Sind das jetzt die Nachwirkungen des Orkkriegs oder auf Firunjas Warnungen zurückzuführen?

11.PRAios 25 Hal, mittags
Gute Güte! Das war vorhin das zweite Konzert, das ich im Puniner Stadtpark geben musste. Die Stadtverantwortlichen tun mir echt Leid, den Park wieder herrichten zu müssen! ÜBERALL saßen, standen oder hingen (sic!) sie auf dem Rasen, in Büschen, an Bäumen! Es war ein unglaubliches Gefühl, als der ganze Stadtpark aus vielen hunderten, wenn nicht tausenden Kehlen ertönte: „Hört die Worte an! ...“ Ich muss mal mit Torben reden, ob er mir nicht ein Artefakt schaffen kann, mit dem meine Stimme verstärkt wird. Vielleicht ein Revarsalis Silentium, gekoppelt mit einem Vocolimbo oder so was.

Vorhin hatte ich noch eine längere Diskussion mit Armant. Da uns die Zeit zwischen den Fingern zerrann – vor allem, weil laufend irgendwelche großzügigen Wirte ihre Schenke voll haben wollten – schlug ich vor, eine Großteil vom Rest der Reise mit dem Schiff zu erledigen: Einfach den Yaquir runter bis nach Kuslik, weiter nach Balträa und von dort dann mit dem Schiff über Harben bzw. Iriveth den Rest der Strecke per Pferd nach Elenvina. Er meinte, die Miete für den Unterstellplatz der Kutsche und der Pferde seien zu teuer, außerdem wollte er seiner Tochter nicht die Strapazen des Weges von Iriveth nach Elenvina zumuten, dafür sei sie noch zu jung. Ich kann ihn ja verstehen, aber mit dem Rückweg über Ferdok werden wir eine Menge Zeit verlieren!
 

13. PRAios 25 Hal, mittags
Waren die Vorbereitungen in Garetien noch eher verhalten, scheint Firunja Almada gründlich aufgerüttelt zu haben: Alle paar Orte werden Kornspeicher angelegt. Auch die Zahl der Wehrübungen, die in der Nähe der Reichsstraße abgehalten werden, häuft sich.

18. PRAios 25 Hal, abends
Endlich ein bisschen Ruhe – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne! Hier in Vinsalt gibt es sicher den einen oder anderen, der mich erkennt, aber größtenteils kommen wir inzwischen unerkannt voran – und damit noch einmal bedeutend schneller als mit einstündigen oder längeren Zwischenhalten durch zu haltende Konzerte.

Ein Horasgeweihter (Horasier! Ts!)  machte uns folgende Prophezeiung: „Über Gareth scheint die Sonne am hellsten genau dann, wenn in Drôl der Tempel gesegnet wird. Auch wird dann weder in Beilunk noch in Khunchom ein Ketzer verurteilt.“ Ein weiterer Stein im Mosaik.

21. PRAios 25 Hal
Gestern Mittag Ankunft in Kuslik. Kuslik ist die wohl HESindegefälligste Stadt Aventuriens. Drei magische Akademien! Und ein Erfindergeist, der sich fast schon greifen lässt! Eine Taverne hat sogar ein neuartiges Musikinstrument, ein so genanntes „Piano“. Der Barde, der dieses Piano spielt, gehört wohl zum Inventar dieser Taverne: Er und sein Bruder sind fest Angestellte des Wirts und haben die Aufgabe, je nach Stimmung fröhliche oder melancholische Musik zu spielen. „Dschess“ nennen die beiden diese Musikrichtung. Dabei spielen sie völlig ohne Noten! Das klingt… anders. Gut, aber irgendwie total ungewohnt. Aber trotzdem irgendwie gut! Beruhigend, zu wissen, dass dieses Piano nicht ohne einen immensen Aufwand zum nächsten Bardenturnier gebracht werden kann.

War es vorher meine Berühmtheit, die uns aufgehalten hatte, so ist es nun der unglaubliche Wissendurst unserer beiden arkan Befähigten: Wir mussten Armant und Torben schon fast gefesselt aus der Halle der Weisheit bringen, damit wir weiter reisen konnten.

22. PRAios 25 Hal, mittags
Was für eine lustige Szenerie! Bardenturnierwürdig!
Auf unser Schiff, das uns nach Baltrea bringt, fand soeben ein Überfall statt, oder sagen wir besser, es sollte ein Überfall stattfinden. Die Thalukke schoss förmlich durch das Wasser auf unsere Kogge zu. Torben sprach einen Spruch auf einige Armbrustbolzen und schoss zwei davon auf das immer größer werdende Schiff ab. Kaum traf der erste Bolzen, blieb das Piratenschiff an Ort uns Stelle. Der starke Seegang drehte das Schiff um den Bolzen, und einzelne Planken barsten bereits. Der zweite Bolzen fixierte dann das Schiff an Ort und Stelle. Natürlich! Objektofixo Lufthaken, Torbens Spezialität, die schon im Orkkrieg zum Einsatz kam. Armant lächelte und jagte noch einen Feurball auf die Thalukke. Dann grinste Torben uns an und meinte: „Das Problem wäre dann wohl abgehakt!“

23. PRAios 25 Hal, abends
Vorhin kamen wir am PRAiostempel an. Ein großer Tempel mit zwei Flügeltüren, die mit ziemlich viel Blattgold verziert sind. Darüber eine Inschrift: „Herr PRAios, gib uns die Kraft, zu verändern, was zu verändern ist, die Geduld, zu ertragen, was zu ertragen ist, und die Weisheit, beide voneinander zu unterscheiden.“ Innen wimmelt es nur so von Statuen, Büsten und ähnlichem. Unfassbar, wie viele Heilige, Alveraniare und so weiter es gibt!

Die roten Säulen tragen hunderte von Tafeln, wo alle bisherigen Orakelsprüche eingraviert sind. Ein bisschen fühlte ich mich an die Hallen in Xorlosch erinnert, bloß dass hier kein Bartmurmler zwischen den Säulen wandelt und „Bosparanische Interfäkalarkaniden“ brabbelt. Außerdem ist dieser Tempel natürlich deutlich heller und damit irgendwie freundlicher als die Hallen Xorloschs.

Auf der Empore stehen drei Altäre: Links ein Altar, der Darador, den hohen Drachen des Lichts darstellt, mit dem rechten wird Varsinor bzw. Naclador, der hohe Drache der Weisheit geehrt. Den mittleren Altar schmückt eine im Vergleich zu den beiden Drachen eher schlichte PRAios-Statue – die ursprüngliche erreichte ihr Ziel nie. Warum tut der nächste Bote des Lichts nicht einmal etwas gegen die Schlichtheit dieser Statue und stiftet eine neue?

Im Tempel wurde uns die Prozedur erklärt, wie wir zum Orakel gelangen: Zunächst werden die rituellen Reinigungen in den Katakomben vollzogen. Irgendwann vor der PRAiosstunde wählt ein Geweihter dann aus, wer zum Orakel hochsteigen darf – wenn überhaupt einer. In der Zwischenzeit, darf man sich reinigen, fasten und beten. Sollte man hindurch gelassen werden, steht einem dann ein recht anstrengender Marsch über einen langen, gewundenen Pfad zum Orakel selbst bevor.

Die Geweihte, die uns das erklärte, meinte noch, dass diese Strapazen für ein kleines Mädchen natürlich viel zu gewaltig wären. Sie würde sich um das Kind kümmern. Nach einer kurzen Diskussion blieb es auch dabei, da sich keiner von uns die Erkenntnis des Orakels entgehen lassen wollte.

26. PRAios 25 Hal, abends
Sind vom Orakel zurück aufs Schiff gekommen. Herr PRAios, war das anstrengend! Zunächst mussten wir in einer Höhle warten, bis wir demütig genug und demnach würdig waren, zum Orakel vorgelassen zu werden. Das hat allerdings erstaunlich kurz gedauert. Herr PRAios muss den Geweihten hier die deutliche Anweisung gegeben haben, uns einfach zum Orakel zu lassen.

Wie dem auch sei, die Umstellung von den dunklen, kühlen Katakomben in das helle, gleißende Licht der unglaublich heißen Vormittagssonne war ein ziemlicher Schock. Der Weg zum Orakel war, wie versprochen, lang, gewunden und ziemlich steil. Hier und da ein paar einfache Treppen oder Geländer zeigten an, dass wir weiterhin auf dem richtigen Weg waren.

Dann erreichten wir das Hochplateau. Dort standen etliche Sandsteinblöcke, deren Sinn sich mir entzog. Dazwischen standen zwölf goldene Gongs, der größte von ihnen hatte einen Durchmesser von zwei Schritt. Im Zentrum des ganzen stand ein riesiger Türrahmen, aus Stein gehauen, fünf Schritt hoch. In ihm flimmerte die Luft. Das Sonnentor!

Ich sank auf die Knie, dankbar vom Herrn PRAios die Kraft bekommen zu haben, die Strapazen durchzuhalten, um Sein Wort zu hören, auf dass die Spaltung der PRAioskirche endlich beendet würde. Leise hörte ich Praiogard murmeln, dann erfüllte mich die Antwort mit einer unglaublichen Macht, die sich schier in meinen Kopf brannte: „Genau dann, wenn in Vinsalt die Sonne am hellsten scheint, wird in Havena ein Tempel gesegnet, dies jedoch nicht am Rohalstag, wo in Kunchom ein Ketzer verurteilt wird. Auch wird, wenn in Vinsalt die Sonne am hellsten scheint, nicht Jariel Bote des Lichts, aber auch für Hilberian wird sich das Orakel nicht entscheiden.“

Auf dem Rückweg begegneten wir einem Zyklopen, Braak oder so ähnlich war sein Name. Er erzählte uns, dass er eine Vision hatte: Er sollte einen „Zahnstocher“ schmieden, den er dann mir geben sollte. Was er mir überreichte, war der beste Rapier, den ich jemals erblicken durfte! Was für ein Geschenk! Ungläubig stammelte ich meinen Dank, von den Worten und der Ausdrucksweise her ziemlich unwürdig, wie ich finde, aber ich war schier überwältigt.



4. EFFerd 25 Hal, abends
Toll der Rapier, den mir der Zyklop geschenkt hat! Ich habe damit vorhin mal richtig schön einen der Räuber verhauen dürfen. Die Strauchdiebe wollten sich eigentlich schon wieder zurückziehen, als sie erkannten, dass sie mit Thallian einen RONdrageweihten vor sich zu stehen hatten. Doch diesmal hielt ich ihn zurück: „Thallian, du bist vor einiger Zeit um ein gutes Gefecht gebracht worden, nicht wahr?“ Mein Freund nickte erstaunt. Ich deutete auf die drei Kräftigsten. „Du, du und du! Hier habt ihr zehn Dukaten!“ Ich warf zehn Dukaten vor mir auf den Weg. Dann stellte ich mich über das Münzhäufchen und zog meine Waffen. „Kommt und holt sie euch!“

Der erste, ein hagerer, schlaksiger Mann, setzte sich ziemlich verschämt an den nächsten Baum, nachdem ich seine Waffe zerbrochen und ihm ein paar Mal mit dem Rapier auf den Hintern gehauen hatte. In der Zeit versuchte der zweite, ein reichlich Dicker aber großer Kerl, laufend die Münzen aufzuheben, die ich ihm nebenbei immer wieder aus der Hand schlug.

Dem dritten, ein kleiner flinker, so um die zwanzig, musste ich zunächst immer ausweichen, bis der Schlaksige weg war. Gegen die zwei konnte ich wesentlich einfacher bestehen. Dem Dicken schlitzte ich kurzerhand das Hemd vom Leib, halbnackt trollte auch er sich. Dann begann ich mit einer Fechtstunde zur Erbauung meiner Gefährten. Laut sagte ich jeweils an, was ich gleich machen würde, bevor ich es ausführte. Der Beifall und die Zwischenrufe irritierten meinen verbleibenden Gegner zunehmend, ich denke, auch meine Bemerkungen wie „Droht nichts in wenigen Augenblicken!“ haben ihren Teil beigetragen. Als er feststellte, dass er durch etliche kleine Schnitte zunehmend erschöpfte, ich jedoch noch keinen einzigen Kratzer hatte, gab er völlig entnervt auf. Ich denke, ich nenne meinen Rapier „Räuberschreck“. Oder, noch besser, noch würdiger: „Klingentanz“! Oder zyklopäisch: Lamach’ros. Klingt toll!

7. EFFerd 25 Hal, mittags
Nun ist es also soweit. Die Heere des Heliodan und des Lumerian stehen sich vor Eleniva gegenüber; die bevorstehende Schlacht ist unter Kollegen bereits als „Schlacht des Lichts“ bezeichnet worden. Es liegt an uns mit den vorliegenden Orakelsprüchen diese zu verhindern und die Spaltung der PRAioskirche zu beenden. Einen letzten Spruch brachte der Inquisitor Rapheriam von Eslamshagen mit, als er als Bote die nahende Ankunft Jariel Praiotin ankündigte. Nachstehend alle Orakelsprüche:

1. Am Tag, nachdem in Greifenfurt die Sonne am hellsten schien, wird in Drôl ein Tempel gesegnet und in Festum kein Ketzer verurteilt werden.

2. In Zorgan scheint die Sonne am hellsten, irgendwann, bevor sie dies in Gareth tut, aber am Tag, nachdem sie in Vinsalt am hellsten schien.

3. In Al’Anfa werde Ketzer nur windstags oder erdstags verurteilt.

4. In Beilunk wird ein Ketzer verurteilt, genau dann, wenn in Kuslik ein Tempel gesegnet wird. Wenn dies heute ist, sollen beide Bote des Lichts sein und vereint die Macht halten.

5. Wenn heute in Greifenfurt die Sonne am hellsten scheint, dann soll Hilberian Bote des Lichts sein.

6. Wenn in Al’Anfa Ketzer verurteilt werden, wird eine Schlacht die Entscheidung bringen – oder beide sollen Bote des Lichts sein.

7. Über Gareth scheint die Sonne am hellsten genau dann, wenn in Drôl der Tempel gesegnet wird. Auch wird dann weder in Beilunk noch in Khunchom ein Ketzer verurteilt.

8. Wenn in Al’Anfa Ketzer verurteilt werden, werden weder in Kuslik noch in Drôl Tempel gesegnet.

9. Genau dann, wenn in Vinsalt die Sonne am hellsten scheint, wird in Havena ein Tempel gesegnet, dies jedoch nicht am Rohalstag, wo in Kunchom ein Ketzer verurteilt wird. Auch wird, wenn in Vinsalt die Sonne am hellsten scheint, nicht Jariel Bote des Lichts, aber auch für Hilberian wird sich das Orakel nicht entscheiden.

10. An den beiden Tagen nach der Tempelsegnung in Kuslik werden die Tempel in Thorwal und Drôl gesegnet.

11. In Elenvina scheint die Sonne am hellsten genau dann, wenn in Harben ein Tempel gesegnet wird.

8. EFFerd 25 Hal
Die PRAioskirche ist wieder eins! Wir haben es geschafft!
Wir wurden heimlich ins Zelt eingeschleust, in dem sich die beiden Boten des Lichts trafen. Zunächst wurden wir alle aber Zeuge eines ziemlich seltsamen Ereignisses: Direkt aus Firunjas Brustkorb sprang eine grün getigerte Elfenkatze, putzte sich ausgiebig und sprach: „Von fünf hintereinander liegenden Tagen wird in zwölf Sprüchen gesprochen. An jedem Tage wird ein Tempel gesegnet und ein Ketzer verurteilt, an jedem Tag scheint die Sonne am hellsten in einer bestimmten Stadt, an jedem Tag, alles jeweils in einer anderen Stadt, an jedem Tag. Der erste Tag ist der Windstag.“ Dann sprang die Erscheinung zurück und verschwand in Firunjas Brustkorb. Torben bestätigte mir später, dass es genau so aussah wie das Tier, das ihm und Armant damals gesagt hatte, wo uns der Greif Aurartan hingetragen hatte.

Nach dieser letzten Erklärung zählte Firunja die Verse noch einmal kurz durch und meinte, dass noch ein Orakelspruch fehlte. Sofort wurden ein paar Leute losgeschickt, die in der Stadt nach dem verbleibenden Spruch fahnden sollten.

In der Zwischenzeit besprachen wir das Rätsel des PRAiosorakels.
Ich begann:

„Eure Eminenzen, wie wir bereits gehört haben, bilden zwölf Orakelsprüche ein logisches Gefüge, das es aufzulisten gilt. Elf davon haben wir gehört. Gehen wir zusammen durch, welche logischen Konsequenzen sich daraus ergeben.

Doch vorher bleibt folgendes festzustellen: Wir sind vom Herrn PRAios selbst auserwählt worden, die Spaltung Seiner Kirche zu beenden. Zu diesem Behufe hat Er uns diese Orakelsprüche gesandt. Demnach schließe ich, dass es Ihm nicht recht sein kann, wenn beide Bote des Lichts bleiben. Ebenso wenig denke ich, dass die bevorstehende Schlacht Sein Wille ist, denn sonst stünden wir nicht hier.

Dies lässt sich auch an Hand der Sprüche ausmachen: Wenn in Al’Anfa Ketzer verurteilt werden, wird eine Schlacht die Entscheidung bringen – oder beide sollen Boten des Lichts bleiben. Ich denke, wir können davon ausgehen, dass in diesem Spruch der heutige Wochentag gemeint ist, also PRAiostag“, ich blickte zu Armant, „beziehungsweise BORonstag.“ Dieser Zusatz brachte mir einen finsteren Blick beider Boten ein. Hilberian setzte schon an, daher sprach ich schnell weiter.

„Das kann jedoch nicht sein, da in Al’Anfa Ketzer nur windstags oder erdtags, also nicht praiostags verurteilt werden.“

„Genau!“, unterbrach mich jemand, „viel zu selten! Wieso werden denn nur an zwei Tagen Ketzer in Al’Anfa verurteilt? Das sollte viel häufiger geschehen!“ Ich barg mein Gesicht in den Händen und schüttelte den Kopf. Der Mann hatte irgendwie nichts verstanden! Herr  PRAios, bitte schenk ihm doch ein wenig Durchblick!

Doch Armant antwortete bereits: „Seid versichert, dass Ketzer in Al’Anfa durchaus an allen Tagen der Woche verurteilt werden. Dies ist nur ein Satz eines Rätsels, der nicht unbedingt der Realität entspricht.“

Was für ein Anfang! Wir waren dem Rätsel nicht einmal zu Leibe gerückt, und schon wurde über den Realitätsgehalt von Aussagen eines Rätsels diskutiert. Das würde noch ein langer Tag werden! Als sich die Diskussion gelegt hatte, sprach ich weiter: „Da heute PRAiostag ist und nicht Wind- oder Erdtag, soll die Schlacht eben nicht die Entscheidung bringen; ebenso wenig wie beide Boten des Lichts bleiben sollen.

Es verbleiben als Lösungen somit die Möglichkeiten, dass entweder der Lumerian Bote des Lichts wird oder der Heliodan oder ein ganz anderer. Dieser letzte Fall träfe ein, wenn nach den Orakelsprüchen heute in Vinsalt die Sonne am hellsten scheint. Der Lumerian würde Bote des Lichts, wenn heute in Greifenfurt die Sonne am hellsten stünde. Über den Heliodan wird in den elf vorliegenden Sprüchen keine Aussage gemacht.

Die Orakelsprüche verbinden verschiedene Ereignisse zeitlich miteinander. Jedes Ereignis, nämlich die Verurteilung eines Ketzers, die Segnung eines Tempels und der hellste Sonnenschein treten in jeder Stadt an einem anderen Tag auf. Wenn wir eine komplette Liste der Abfolge der Ereignisse haben, können wir daraus schließen, was gemäß der Sprüche PRAios Wille ist.

An welchem Tag scheint also wo die Sonne am hellsten? Im zweiten Spruch steht, dass die Sonne in Vinsalt und Zorgan an zwei aufeinander folgenden Tagen am hellsten scheint. Diese beiden Tage stehen zeitlich vor Gareth.

Zeitlich passieren die Ereignisse in Gareth und Drôl am gleichen Tag, wie uns der siebte Spruch verrät. Das Ereignis in Drôl geschieht aber auch exakt einen Tag nach dem Ereignis in Greifenfurt. Das bedeutet, dass die Sonne erst in Greifenfurt und dann in Gareth am hellsten scheint.

Damit haben wir in der Abfolge des hellsten Sonnenscheins zwei Gruppen von aufeinander folgenden Tagen, nämlich Vinsalt-Zorgan und Greifenfurt-Gareth. Die verbleibende Stadt Elenvina kann nur vor, zwischen oder hinter diesen beiden Gruppen stehen. Die Abfolge der hellsten Sonnenscheine kann also nur noch eine der folgenden drei sein: Elenvina-Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth oder Vinsalt-Zorgan-Elenvina-Greifenfurt-Gareth oder Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth-Elenvina.“

Hier unterbrach Jast Gorsam sofort. „Natürlich steht Elenvina ganz vorne! Wo sollte es denn sonst stehen?“ Ich antwortete: „Herr PRAios stellt Elenvina dort an die Liste, wo immer es Ihm beliebt. Oder wollt Ihr das Wort des Herrn PRAios in Frage stellen?“ Er brummelte noch ein: „Nein, natürlich nicht!“, und verstummte wieder.

Nun hatte Jariel eine Idee: Er schickte sofort nach Karten, einem Nadelkissen und einer drei Tafeln, die mit Stoff bespannt wurden, um die Karten mit den Nadeln befestigen zu können. Nun konnte ich die Folgerungen für alle sichtbar nachvollziehen.

„Gehen wir’s noch mal durch! Im zweiten Spruch steht, dass die Sonne in Vinsalt und Zorgan an zwei aufeinander folgenden Tagen am hellsten scheint. Tragen wir die übrigen Städte als unbekannt ein, sind folgende Reihenfolgen möglich“

Raetsel 01


„Zeitlich passieren die Ereignisse in Gareth und Drôl am gleichen Tag, wie uns der siebte Spruch verrät. Das Ereignis in Drôl geschieht aber auch exakt einen Tag nach dem Ereignis in Greifenfurt. Das wissen wir aus dem ersten Spruch. Das bedeutet, dass die Sonne erst in Greifenfurt und dann in Gareth am hellsten scheint. Das bedeutet bis hierhin folgende Möglichkeiten:“

Raetsel 02

„Jedoch steht im zweiten Spruch auch, dass Vinsalt und Zorgan vor Gareth kommen. Damit können wir die unteren drei Möglichkeiten ausschließen.“ Damit nahm ich die entsprechenden Karten wieder weg.

Raetsel 03

Die verbleibende Stadt Elenvina wird nun an Stelle des Fragezeichens gesetzt. Damit kann die Abfolge nur noch eine der folgenden drei sein:
Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth-Elenvina oder Vinsalt-Zorgan-Elenvina-Greifenfurt-Gareth oder Elenvina-Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth.“

Raetsel 04

Ich fuhr fort: „Dann heißt es im elften Spruch, dass die Ereignisse in Harben und Elenvina am gleichen Tag passieren. Das bedeutet, dass der Tempel in Harben ebenfalls nur am ersten, mittleren oder letzten Tag gesegnet werden kann.“ Daher heftete ich folgendes an die zweite Tafel:

Raetsel 05

Diesmal unterbrach der Lumerian: „Wie kann man nur Harben und Elenvina gleichsetzen? Das grenzt schon an Blasphemie!“ Ich sah ihn an: „Seht in den elften Spruch! PRAios selbst setzt Harben und Elenvina gleich. Beziehungsweise setzt er die Ereignisse von Harben und Elenvina auf den gleichen Tag. Über die Städte an sich wird keine Aussage gemacht.“ Wie ich es befürchtet hatte: Mit jeder Schlussfolgerung wurde es schlimmer, weil außer meinen Freunden alle Anwesenden die Rätselsprüche als Wertungen verstanden und sich immer mal wieder beleidigt fühlten. Ich seufzte leise. Die Diskussion dauerte inzwischen bis zum Mittag an, und wir waren an einem Punkt, den ich zuvor alleine deutlich schneller erreicht hatte. Ich fürchtete darum, das Rätsel noch an diesem Tag zu lösen.

Wir unterbrachen für die Mittagsmahlzeit. Danach nahm ich den Faden wieder auf. Die weiteren Punkte wurden durch etliche Zwischenfragen und noch mehr beleidigte Zwischenrufe unterbrochen, so dass die gesamte Diskussion bis in die Abendstunden dauerte. Ich werde hier praktisch nur noch die logischen Schritte wiedergeben.

„Wie im elften Spruch steht, finden also die Ereignisse in Harben und Elenvina gleichzeitig statt. Weiterhin sagt uns der neunte Spruch, dass die Ereignisse in Vinsalt und Havena gleichzeitig geschehen. Der Sonnenschein in Vinsalt kann nach unseren Folgerungen nur am ersten oder zweiten der fünf Tage am hellsten sein. Entsprechend wird der Tempel in Havena ebenfalls am Windstag oder am Erdstag gesegnet werden. Wenn also Elenvina vorne steht und somit auch Harben, muss Havena an die zweite Stelle. Wenn Elenvina und Harben in der Mitte oder hinten stehen, muss Vinsalt, wie wir an der anderen Tafel sehen, vorne sein. Also muss dann auch Havena vorne sein.“ Auch diese Ergebnisse steckte ich an die zweite Tafel.
Raetsel 06

Ich fuhr fort: „Weiterhin bedeutet das, dass heute, am PRAiostag die Sonne in Vinsalt nicht am hellsten scheint, sodass sich das Orakel zwischen dem Lumerian und dem Heliodan und für keinen anderen entscheiden wird.

Über die Reihenfolge der Tempelsegnungen wird weiterhin gesagt, dass eine Gruppe von drei Tempeln an drei aufeinander folgenden Tagen gesegnet wird: zuerst Kuslik, danach Thorwal oder Drôl, danach der verbleibende. Diese Sequenz steht entweder am Anfang der fünf Tage, in der Mitte, also mit jeweils einem Tag davor oder dahinter, oder am Ende der fünf Tage. Da sich in diese Reihe aber Havena an erster oder zweiter Stelle einfügen muss, kann die Dreiergruppe Kuslik-Thorwal/Drôl-Drôl/Thorwal nicht am Anfang stehen.“

Ich schnitt einige weitere Karten zurecht und hängte sie unter die bisherigen Tempelkarten.

Raetsel 07

„Wie wir sehen, ist der mittlere Platz immer von einer der drei Städte Kuslik, Thorwal oder Drôl belegt. Daher muss Harben entweder am Anfang oder am Ende stehen.“ Damit nahm ich die mittlere Zeile wieder ab.

Raetsel 08

„Jetzt kann man recht gut erkennen, dass die drei Städte nur noch am Ende oder in der Mitte stehen können. Tragen wir das also ins Bild ein.“

Raetsel 09

„Jetzt können wir sehen, dass nur noch vier Möglichkeiten verbleiben für die Reihenfolge, in der die Tempel gesegnet werden: Harben-Havena-Kuslik-Thorwal-Drôl, Harben-Havena-Kuslik-Drôl-Thorwal, Havena-Kuslik-Thorwal-Drôl-Harben oder Havena-Kuslik-Drôl-Thorwal-Harben.

Da die Ereignisse in Elenvina und Harben am gleichen Tag stattfinden, Harben aber nicht in der Mitte stehen kann, kann Elenvina auch nicht in der Mitte stehen. Damit können wir die mittlere Zeile bei den Sonnenständen wieder wegnehmen.“

Raetsel 10

„Als Möglichkeiten verbleiben also Elenvina-Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth oder Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth-Elenvina. Hängen wir nun die bisherigen Ergebnisse nebeneinander.“

Raetsel 11

„Erinnern wir uns, dass die Ereignisse in Drôl und Gareth gleichzeitig sind. Wenn bei den Sonnenständen die obere Zeile gilt, steht Gareth an fünfter Stelle, folglich muss auch Drôl an fünfter Stelle stehen. Dann kann das untere Schildchen der oberen Zeile bei den Tempeln ab. Wenn für die Sonnenstände die untere Zeile gilt, steht Gareth an vierter Stelle. Also muss dann auch Drôl an vierter Stelle sein. Auch in der zweiten Zeile kann also das untere Schild entfernt werden. Damit verbleiben zwei Möglichkeiten:“

Raetsel 12

„1. Wenn Elenvina-Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth die richtige Abfolge der Sonnenstände ist, muss die richtige Abfolge der Tempelsegnungen Harben-Havena-Kuslik-Thorwal-Drôl sein.

2. Ist jedoch Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth-Elenvina die richtige Liste der Sonnenstände, muss Havena-Kuslik-Thorwal-Drôl-Harben die richtige Liste der Tempelsegnungen sein.

Welche der beiden Möglichkeiten zutrifft, lässt sich ermitteln, wenn wir nun die richtige Abfolge der Verurteilungen von Ketzern aufstellen. Die letzte Stadt dieser Liste ist Khunchom, wo am Rohalstag“, ich grinste und blickte zu Firunja, „am Schneetag – Ketzer verurteilt werden.“
Das steckte ich an eine dritte Tafel.

Raetsel 13

„Erinnern wir uns, dass es im siebten Spruch heißt, dass die Ereignisse in Gareth und Khunchom nicht am gleichen Tage sind. Das bedeutet, dass von den beiden Möglichkeiten für den hellsten Sonnenstand nur noch die untere verbleibt. Also scheint die Sonne erst in Vinsalt am hellsten, danach in Zorgan, Greifenfurt, Gareth“, ich lächelte Jast Gorsam an, „und zum Schluss in Elenvina. Damit werden die Tempel in folgender Reihenfolge gesegnet: Havena, Kuslik, Thorwal, Drôl und dann in Harben.“

Ich nahm einen Schluck Wasser, während die Diskussion wieder einmal entbrannte. Am heftigsten sperrten sich Jast Gorsam und sein Bruder, der Lumerian gegen diese logische Kette, schließlich mussten aber auch sie einsehen, dass bis hierhin kein anderer Schluss möglich war. Sie hätten diesen Disput bis zum nächsten Markttag ausdehnen müssen, damit Lumerian Bote des Lichts würde! Nach einer Weile schlug ich mit einem Löffel gegen mein leeres Glas.

„Kümmern wir uns weiter um die Abfolge der Ketzerverurteilungen. Dass Khunchom in der Liste ganz hinten steht, wissen wir bereits. Außerdem sind die Ereignisse in Kuslik und Beilunk am gleichen Tag. Tragen wir das ein!“

Raetsel 14

Da die Verurteilung in Al’Anfa an erster oder zweiter Stelle der Liste stehen muss, die Verurteilung am Erdstag jedoch schon in Beilunk stattfindet, muss die Verurteilung in Al’Anfa bereits am Windstag geschehen. Auch das tragen wir ein.“

Raetsel 15

„Weiter heißt es im ersten Spruch, dass die Ereignisse in Gareth und Festum nicht am gleichen Tag stattfinden. Das bedeutet, dass Festum in die Mitte dieser Reihe gehört. Tragen wir auch das ein.“

Raetsel 16

„Es fehlt jetzt noch eine Stadt in der Aufzählung. Ich vermute, dass diese etwas über den Heliodan aussagt, aber prinzipiell denke ich, dass sich der richtige Schluss auch so ziehen lässt.“

Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Geschafft! Das Rätsel war gelöst. Jariel fragte leise: „Und wer soll nun nach PRAios Willen Bote des Lichts sein?“ Ich sah ihn an. „Herr PRAios wünscht keine Schlacht, keine Kirchenspaltung und keinen anderen Vertreter als Euch oder“, ich sah zu Hiberian, „Euch, Lumerian. Ihr sollt jedoch dann Bote des Lichts sein, wenn heute in Greifenfurt die Sonne am hellsten scheint. Heute scheint jedoch in Gareth die Sonne am hellsten.“ Wieder sah ich Jariel an. „Folglich will er nicht ihn sondern Euch als Boten des Lichts sehen. Um das bestätigt zu wissen, benötigen wir jedoch den zwölften Orakelspruch. Nicht, dass jemand Euch gegenüber tritt und behauptet, er solle der Bote des Lichts sein, wenn in Gareth die Sonne am hellsten steht.“

Hilberian war deutlich geschockt. „Aber“, platzte er heraus, „das kann doch gar nicht sein! Ich habe doch deutlich PRAios Willen vernommen. Er will MICH als Boten des Lichts!“

Da ergriff Jast Gorsam das Wort. „Doch, es ist wahr! ICH habe den zwölften Orakelspruch erhalten: ‚Wenn in Mendena ein Ketzer verurteilt wird, dann soll Jariel Bote des Lichts sein.’ Es stimmt!“ Er ging zu Hilberian und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid, mein Bruder!“

Das war zu viel für Hilberian. Für Minuten erstarrte er. Nur langsam löste sich seine Verspannung. Schließlich erhob er sich. „Dann sollten wir jetzt vor unsere Heere treten und verkünden, dass Ihr, Jariel der Bote des Lichts seid.“ Und so geschah es dann auch.