Aus dem Tagebuch des berühmten Barden und Gauklers Salix Lowanger:
1. PERaine 24 Hal, später Nachmittag
…
Nachdem die beiden verletzten Harpyien sich entfernt hatten, flog der
Greif auf uns zu. Als er landete sanken wir auf die Knie.
„Ich bin Aurartan“, stellte er sich vor. Torben
fing nervös an zu reden, wurde jedoch sogleich von Aurartan
nieder gestarrt und verstummte. Praiogard war auf die Knie gesunken und
hielt ihre Tochter dem Götterboten entgegen. Dieser
streichelte der Kleinen sanft über den Kopf. Firunja ergriff
das Wort und stellte uns vor. Dann legte sie dar, dass wir uns auf
einer PRAios gefälligen Queste befinden. Im weiteren Verlauf
des Gesprächs diskutierten dann auch Praiogard und Thallian
mit.
Irgendwann kam Aurartan auf die Orakelsprüche zurück.
„PRAios ist auch Gott der Gesetze“,
verkündete er. „Ohne Gesetze kann keine
Gerechtigkeit existieren. Und welche Gesetze sind stärker als
die der Logik?“ Dann legte er dar, dass die einzelnen
Orakelsprüche tatsächlich zusammengenommen ein
Logikrätsel ergeben. Fassungslos schüttelte ich stumm
den Kopf. So einfach! So schön! So offensichtlich! Und wir
waren so blind!
Dann gab er uns den nächsten Orakelspruch: „Wenn in
Al’Anfa Ketzer verurteilt werden, werden weder in Kuslik noch
in Drôl Tempel gesegnet.“ Danach nahm er Praiogard,
ihr Kind und mich in die Linke, Thallian und Firunja in die Rechte und
erhob sich in die Lüfte. Wie damals auf den Pegasi genoss ich
nach einem kurzen Augenblick erschreckten Erstaunens das
Gefühl der Schwerelosigkeit. Es muss wunderbar sein, so etwas
aus eigener Kraft zu beherrschen!
In der Feste Greifenstein setzte er uns dann ab. Ausgesprochen
verblüfft und vorsichtig traten die Soldaten näher.
Einer fragte dann auch nach Gundel und den beiden Magiern. Die waren
zurück in der Greifenklamm im Tasch geblieben.
Firunja überlegte kurz und schlug dann Alarm: Sie meinte, der
Greif hatte uns aus einem bestimmten Grund hergebracht. Wenn wir so
schnell in der Feste zurück sein sollten, musste ein Angriff
unmittelbar bevor stehen. Der Alarmruf wurde sogleich weiter gegeben.
In wenigen Augenblicken war die gesamte Festung kampfbereit. Doch
nichts passierte. Und das blieb so. Nach etwa einer halben Stunde
fragte der Kommandant, Hauptmann Alrikshuber vorsichtig, ob sich
Firunja wirklich sicher war, dass ein Angriff unmittelbar
bevorstünde. Er blies den Alarm ab, befahl jedoch weiterhin
doppelte Wachen in Alarmbereitschaft.
2. PERaine 24 Hal, morgens
Torben und Armant tauchten mitten in der Nacht im Lager auf. Torben
hatte einen Luftdschinn beschworen; mit ihm waren die beiden
zur Feste zurück geflogen. In Sichtweite der Feste aktivierte
Armant noch einen Flimflam, was von den übernervösen
Wachen als Angriff gewertet wurde. Torben wurde prompt von einem
Armbrustbolzen getroffen.
Kurz nach ihrer Landung erzählten sie die ganze Geschichte
etwas genauer: Am abendlichen Lager sei plötzlich eine
grün getigerte Elfenkatze aus dem Dunkel durch das Lagerfeuer
in Sichtweite gehopst, hatte sich ausgiebig geputzt und dann
verkündet: „Eure Freunde sind in der Feste
Greifenstein. Begebt Euch dahin! Sie erwarten Euch.“ Dann
sprang sie davon in die Dunkelheit. Daraufhin hatte Torben angefangen
den Dschinn zu beschwören, woraufhin Gundel schreiend das
Weite suchte. Armant griff noch nach ihrem Rucksack, dann flogen die
beiden praktisch sofort los. Was dem Thallian sein Seil, ist den beiden
ihre Gundel! Lassen sie des Nächtens völlig alleine
am Rand der Messergrassteppe und nehmen sogar die Ausrüstung
mit! Der Kommandant schickte auch sofort eine Patrouille los, um Gundel
zu suchen.
Wir hingegen werden am nächsten Morgen aufbrechen, um in
Elenvina mit dem anderen Boten des Lichts, dem Lumerian Hilberian
Praiofold III. zu sprechen.
…
25. INGerimm 24 Hal, früher Abend
Vorhin hatten wir unsere Audienz beim Lumerian Hilberian Praiofold III,
einem hoch gewachsenen Mann mit strahlend blauen Augen. Für
die Ereignisse rund um Borbarad interessierte er sich keinen Deut.
Typisch Elenviner!
Über die Botschaft Jariels war er durchaus verwundert. Im
Grunde sagte er jedoch genau das Gleiche: Er wolle keinen offenen Kampf
und ist einem persönlichen Treffen durchaus zugetan.
Allerdings müsste das in Elenvina sein. Ohne ein deutliches
Zeichen PRAios’ werde er jedoch von seinem Amt nicht
zurücktreten. Genau wie Jariel Praiotin erklärte er,
wenn er ein entsprechendes Zeichen bekäme, würde er
durchaus sofort zurücktreten. Hoffentlich wertet er ein von
PRAios gesandtes Rätsel als Zeichen! Elenviner Dickkopf!
Dann machte er uns noch eine weitere Prophezeiung: „In
Elenvina scheint die Sonne am hellsten genau dann, wenn in Harben ein
Tempel gesegnet wird.“
26. INGerimm 24 Hal, früher Abend
Heute hatten wir eine Audienz bei Jast Gorsam vom Großen
Fluss. Er hörte sich alles Mögliche interessiert an,
was wir ihm an Kunde brachten. An Borbarad war er praktisch
überhaupt nicht interessiert, an der Meinung des
Reichsbehüters umso mehr. Elenviner Speichellecker! Die Armee,
die der Heliodan zusammengestellt hatte, sorgte ihn am meisten. Auch er
fürchtete einen Bürgerkrieg. Ihm sei am wichtigsten,
ein starkes Volk zu haben, vereint unter (s)einem Banner. Wenn der
Kaiser werden könnte, würde er’s wohl
sofort tun, dachte ich bei mir. Den Zwölfen sei Dank, dass dem
Reichsbehüter Brin, Königin Emer und ihre drei Kinder
im Weg stehen! Theoretisch hätte ja selbst Answin von
Rabenmund Ansprüche vor Jast Gorsam.
Wir erfuhren noch, dass auch auf Balträa ein PRAiosorakel sei.
Das hat bestimmt die eine oder andere Weissagung auch für uns!
Doch ich werde erst einmal nach Gareth ziehen. Nachdem ich meinen
Freunden gegenüber angedeutet habe, dass mein
diesjähriger Beitrag mit Sicherheit den Elu Silbersang
zweistimmig untergehen lässt, änderten sie
tatsächlich ihre Pläne und begleiten mich jetzt zum
Turnier.
1. PRAios 25 Hal
Langsam werde ich unruhig. Der große Auftritt rückt
immer näher… HESinde, was bin ich froh, dass du mir
die Weisheit gabst, meine Strophen vorher von da Vanya absegnen zu
lassen!
2. PRAios 25 Hal, abends
Was für ein Auftritt! Die ersten drei Strophen lang
fürchtete ich, dass mir die Stimme versagen würde, so
nervös war ich. Noch nie hatte ich ein dermaßenes
Zittern in der Stimme, jeden Moment glaubte ich, gleich
zusammenzubrechen und „Ich kann es nicht!“ zu
wimmern. Aber ich hielt durch! Und es hat sich gelohnt! Nach meiner
Darbietung bekam Elu
„Ich-singe-viel-besser-als-du-und-das-auch-noch-zweistimmig“
Silbersang nur noch höflichen Applaus. Tja, Spitzohr, es zahlt
sich halt doch aus, die Zwölf zu verstehen, die seltsamen
Rituale der sie anbetenden Rundohren und die daraus erweckten
Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte! Ha!
Der eigentliche Lacher für mich war aber, dass selbst Jergan
Bukherdal erschienen war, um sein Glück mit der neu vertonten
Ogerschlachtballade zu versuchen. Sein Blick, als ich meine Ballade
beendete, sprach folgenden Satz: „Ihr Zwölfe helft
mir!“ Diese haben jedoch einen ganz klaren Gerechtigkeitssinn
– Jergan wurde so nervös, dass er seine Laute falsch
stimmte und ins Stottern kam. Das sollte ihn lehren, noch einmal
Gedichte von jemand anderem zu „verbessern“!
4. PRAios 25 Hal, abends
Unglaublich! Die Stimmung der Lieder wirkte immer noch nach. Die
Geschichte Korobars fand stärkeren Anklang, als ich es von den
Tavernen her gewohnt bin; einige Zuschauer forderten sogar lautstark
das Gedicht von der Ogerschlacht! Und als ich nach Korobars Ende dann
auch noch erzählte, wie die Vampirplage in Weiden ihr Ende
nahm, waren die Leute wieder ganz aus dem Häuschen. Hinterher
hörten Alina und ich uns auch mal in den Tavernen um. Nicht
einer fragte sich, wie das alles anfing oder warum sich die Vampire in
der Nacht am Nachtschattenturm versammelt hatten. Es war ihnen
völlig egal!
5. PRAios 25 Hal, abends
Fantastisch! Die Szene der drei blinden Magier findet immer noch
genauso Anklang wie der berühmte Monolog „Mein, oder
nicht sein“ aus Lamhet. Und auch hier konnte ich zwei recht
unbekannte Szenen aus inzwischen wahrscheinlich von Ratten zerfressenen
frühen Werken des großen Dschonn Woo, die ich ein
wenig umgeschrieben hatte, gut unterbringen.
6. PRAios 25 Hal, abends
Wie üblich konnte mir in meiner Paradedisziplin, Akrobatik und
Gaukeleien niemand etwas vormachen. Ein paar der Jungspunde dachten,
ich sei durch mein graues Haar nicht mehr annähernd so
beweglich wie früher. Ja, hallo? Es heißt Handstand,
nicht Haarstand!
7. Praios 25 Hal, abends
Dass mir der Sieg nicht mehr zu nehmen war, wurde mit jedem Tag immer
deutlicher! Als ich vor der Siegerehrung über den Marktplatz
schlenderte hörte ich die Ballade in vielen Ecken, aus
talentierten und weniger talentierten Mündern. Die
Siegerehrung selbst war ein wirklich erhebender Augenblick! Heute kann
mir Borbarad den Buckel runter rutschen! Heute bin ICH der
König der Welt!
8. PRAios 25 Hal
Alina war nicht sehr angetan davon, dass wir uns jetzt schon wieder
aufmachen, einen Bürgerkrieg zu verhindern. Ich versprach ihr,
zurückzukehren, sobald die Orakelsprüche
gelöst seien. Da der Heliodan bereits plante, gen Elenvina zu
marschieren, haben wir ohnehin nur noch wenig Zeit, insofern wird es
nicht allzu schwer sein, diese Versprechen zu halten.
9. PRAios 25 Hal, mittags
Mittagessen in Eslamsgrund. Kaum waren wir in die hiesige Taverne
spaziert und hatten angefangen, uns mit dem Wirt über die
mögliche Mittagsverpflegung zu unterhalten, rannte ein etwa
zehnjähriger Lausejunge raus: „Papa! Papa! Komm
schnell! Er ist hier!“ Sein Vater kam auch recht schnell in
den Schankraum und erstarrte förmlich.
„Tatsächlich!“, stieß er aus.
Wir sahen ihn fragend an. „Brugol Pferdepfleger mein
Name“ Dann sank er auf die Knie. „Welch eine Ehre,
Euch hier zu treffen… Salix Lowanger!“, stammelte
er. „Oh, verzeiht! Euer Wohlgeboren, meine ich
natürlich!“
Ich lächelte milde. „Salix, für meine
Freunde“. Vor Rührung traten ihm fast die
Tränen in die Augen. „Ganz, wie ihr
meint… Salix!“
„Salix Lowanger? DER Salix Lowanger? Der Salix Lowanger, der
nach jedem großen geschichtlichen Ereignis die Herzen der
Menschen mit seinen Werken so zu bewegen weiß, dass er
anschließend den Bardenwettbewerb im Neujahrsturnier
gewinnt?“ Mit dieser Frage beteiligte sich der Wirt am
Gespräch.
„Genau dieser Salix!“, ereiferte sich Brugol.
„Seid Ihr mit dieser prächtigen Kutsche…
Welch dumme Frage, natürlich reist Ihr
standesgemäß! Wartet einen Moment!“ Damit
lief Brugol nach draußen. „Kuno! Alrik! Versorgt
die Pferde der Kutsche hier! Los, los, BEWEGT EUCH GEFÄLLIGST!
Wir haben hier Salix Lowanger; ihr wollt doch nicht, dass sich seine
wichtige Reise euretwegen verzögert!“
Der Wirt ergriff wieder das Wort. „Euer Wohlgeboren, das
Mittag und die Getränke für Euch und Eure
Gefährten gehen selbstverständlich aufs
Haus.“ Bevor ich mich bedanken konnte, sprach er weiter.
„Vielleicht könntest Ihr uns die unglaubliche Ehre
erweisen, heute Mittag für uns zu singen, während Ihr
auf Euer Essen wartet?“ Er drehte sich um und rannte in die
Küche. „HILDAAA!“
Während sich der Ort geschwind in einen Ameisenhaufen
verwandelte, drehte ich mich zu meinen Gefährten, ziemlich
sprachlos, wie ich gestehen muss. Aber das war nichts im Vergleich zu
dem, was in Armant vorgehen musste. Er hatte eine Miene, die Torbens
Erzdschinn nicht hätte versteinerter hinbekommen
können. Als Reichsberater und Spektabilität war er
nicht nur nicht erkannt sondern schlicht ignoriert worden! Und seine
Kutsche war kurzerhand zu meiner erklärt worden! Unsere Blicke
trafen sich. Ich schmunzelte und zuckte nur hilflos mit den Achseln.
Inzwischen war Brugols Sohn samt seiner Mutter und seinen beiden
Schwestern in die Taverne zurückgekehrt. „Komm her,
kleiner Mann!“, winkte ich ihn zu mir. Verlegen kam er an.
„Wie heißt du?“
„Ich… ich bin Brin“, antwortete er
schüchtern. „Brin“, erwiderte ich.
„Das ist ein guter Name. Haben deine Eltern dich nach dem
Reichsbehüter genannt?“ Brin nickte. „Weil
er so ein gütiger Herrscher ist.“ Ich
lächelte, „Das ist er. Möchtest du mit mir
zusammen singen?“ Brin guckte mich mit großen Augen
an. „Darf ich?“ –
„Natürlich. Was kannst du denn so?“ Das
löste seine Verlegenheit. „Naja, ich kann das, was
Ihr auf dem Turnier letzte Woche gesungen habt. Ich meine, das, was
immer wieder gesungen wurde.“ –
„Gut“, sagte ich, „dann kannst du das
nachher singen. Und ich singe die Strophen, was meinst du?“
Brin strahlte. „Au ja!“
Lange Rede, kurzer Sinn – wir bekamen das Mittag, die
Getränke und die Versorgung unserer Pferde kostenfrei. Das
Mittagessen war mit Sicherheit das Beste, was der Wirt aufbieten
konnte; er und Hilda hatten ganze Arbeit geleistet! Dafür
musste ich ein paar Lieder singen, und der kleine Brin konnte auch mal
vor Publikum singen. Seine Eltern platzten geradezu vor Stolz,
abgesehen davon, dass ihnen vor Rührung schier die
Tränen kamen. Später meinte Brin zu mir, er will auch
mal Barde werden. Außerdem fiel mir auf, dass mich Rovena,
die älteste Tochter Brugols mit einem Blick ansah, der mich
entfernt an Darians kleinen Verehrer Raidri erinnerte. Nein, eigentlich
ging ihr Blick darüber hinaus, es war durchaus neben
TRAviagefälliger Zuneigung noch etwas RAHjanisches darin zu
finden. Hätte ich das Lied über RAHja angestimmt, mit
dem ich seinerzeit Detlef beeindruckte, hätte sie mich
wahrscheinlich in den nächsten Heuschober gezerrt!
9. PRAios 25 Hal, abends
Sind vorhin in Ragath angekommen. Wie sich die Bilder gleichen! Diesmal
erkannte mich der Wirt, und auch hier gab’s
Freigetränke und das Abendessen für die Bezahlung
etlicher Lieder. Interessant war, dass später eine Gruppe
total verschwitzter Dörfler samt einem Weibel herein kamen.
Sie hatten wohl gerade eine Übung abgehalten, in Formation zu
kämpfen. Erstaunlich! Sind das jetzt die Nachwirkungen des
Orkkriegs oder auf Firunjas Warnungen zurückzuführen?
11.PRAios 25 Hal, mittags
Gute Güte! Das war vorhin das zweite Konzert, das ich im
Puniner Stadtpark geben musste. Die Stadtverantwortlichen tun mir echt
Leid, den Park wieder herrichten zu müssen! ÜBERALL
saßen, standen oder hingen (sic!) sie auf dem Rasen, in
Büschen, an Bäumen! Es war ein unglaubliches
Gefühl, als der ganze Stadtpark aus vielen hunderten, wenn
nicht tausenden Kehlen ertönte: „Hört die
Worte an! ...“ Ich muss mal mit Torben reden, ob er mir nicht
ein Artefakt schaffen kann, mit dem meine Stimme verstärkt
wird. Vielleicht ein Revarsalis Silentium, gekoppelt mit einem
Vocolimbo oder so was.
Vorhin hatte ich noch eine längere Diskussion mit Armant. Da
uns die Zeit zwischen den Fingern zerrann – vor allem, weil
laufend irgendwelche großzügigen Wirte ihre Schenke
voll haben wollten – schlug ich vor, eine Großteil
vom Rest der Reise mit dem Schiff zu erledigen: Einfach den Yaquir
runter bis nach Kuslik, weiter nach Balträa und von dort dann
mit dem Schiff über Harben bzw. Iriveth den Rest der Strecke
per Pferd nach Elenvina. Er meinte, die Miete für den
Unterstellplatz der Kutsche und der Pferde seien zu teuer,
außerdem wollte er seiner Tochter nicht die Strapazen des
Weges von Iriveth nach Elenvina zumuten, dafür sei sie noch zu
jung. Ich kann ihn ja verstehen, aber mit dem Rückweg
über Ferdok werden wir eine Menge Zeit verlieren!
13. PRAios 25 Hal, mittags
Waren die Vorbereitungen in Garetien noch eher verhalten, scheint
Firunja Almada gründlich aufgerüttelt zu haben: Alle
paar Orte werden Kornspeicher angelegt. Auch die Zahl der
Wehrübungen, die in der Nähe der
Reichsstraße abgehalten werden, häuft sich.
18. PRAios 25 Hal, abends
Endlich ein bisschen Ruhe – im wörtlichen wie im
übertragenen Sinne! Hier in Vinsalt gibt es sicher den einen
oder anderen, der mich erkennt, aber größtenteils
kommen wir inzwischen unerkannt voran – und damit noch einmal
bedeutend schneller als mit einstündigen oder
längeren Zwischenhalten durch zu haltende Konzerte.
Ein Horasgeweihter (Horasier! Ts!) machte uns folgende
Prophezeiung: „Über Gareth scheint die Sonne am
hellsten genau dann, wenn in Drôl der Tempel gesegnet wird.
Auch wird dann weder in Beilunk noch in Khunchom ein Ketzer
verurteilt.“ Ein weiterer Stein im Mosaik.
21. PRAios 25 Hal
Gestern Mittag Ankunft in Kuslik. Kuslik ist die wohl
HESindegefälligste Stadt Aventuriens. Drei magische Akademien!
Und ein Erfindergeist, der sich fast schon greifen lässt! Eine
Taverne hat sogar ein neuartiges Musikinstrument, ein so genanntes
„Piano“. Der Barde, der dieses Piano spielt,
gehört wohl zum Inventar dieser Taverne: Er und sein Bruder
sind fest Angestellte des Wirts und haben die Aufgabe, je nach Stimmung
fröhliche oder melancholische Musik zu spielen.
„Dschess“ nennen die beiden diese Musikrichtung.
Dabei spielen sie völlig ohne Noten! Das klingt…
anders. Gut, aber irgendwie total ungewohnt. Aber trotzdem irgendwie
gut! Beruhigend, zu wissen, dass dieses Piano nicht ohne einen immensen
Aufwand zum nächsten Bardenturnier gebracht werden kann.
War es vorher meine Berühmtheit, die uns aufgehalten hatte, so
ist es nun der unglaubliche Wissendurst unserer beiden arkan
Befähigten: Wir mussten Armant und Torben schon fast gefesselt
aus der Halle der Weisheit bringen, damit wir weiter reisen konnten.
22. PRAios 25 Hal, mittags
Was für eine lustige Szenerie! Bardenturnierwürdig!
Auf unser Schiff, das uns nach Baltrea bringt, fand soeben ein
Überfall statt, oder sagen wir besser, es sollte ein
Überfall stattfinden. Die Thalukke schoss förmlich
durch das Wasser auf unsere Kogge zu. Torben sprach einen Spruch auf
einige Armbrustbolzen und schoss zwei davon auf das immer
größer werdende Schiff ab. Kaum traf der erste
Bolzen, blieb das Piratenschiff an Ort uns Stelle. Der starke Seegang
drehte das Schiff um den Bolzen, und einzelne Planken barsten bereits.
Der zweite Bolzen fixierte dann das Schiff an Ort und Stelle.
Natürlich! Objektofixo Lufthaken, Torbens
Spezialität, die schon im Orkkrieg zum Einsatz kam. Armant
lächelte und jagte noch einen Feurball auf die Thalukke. Dann
grinste Torben uns an und meinte: „Das Problem wäre
dann wohl abgehakt!“
23. PRAios 25 Hal, abends
Vorhin kamen wir am PRAiostempel an. Ein großer Tempel mit
zwei Flügeltüren, die mit ziemlich viel Blattgold
verziert sind. Darüber eine Inschrift: „Herr PRAios,
gib uns die Kraft, zu verändern, was zu verändern
ist, die Geduld, zu ertragen, was zu ertragen ist, und die Weisheit,
beide voneinander zu unterscheiden.“ Innen wimmelt es nur so
von Statuen, Büsten und ähnlichem. Unfassbar, wie
viele Heilige, Alveraniare und so weiter es gibt!
Die roten Säulen tragen hunderte von Tafeln, wo alle
bisherigen Orakelsprüche eingraviert sind. Ein bisschen
fühlte ich mich an die Hallen in Xorlosch erinnert,
bloß dass hier kein Bartmurmler zwischen den Säulen
wandelt und „Bosparanische
Interfäkalarkaniden“ brabbelt. Außerdem
ist dieser Tempel natürlich deutlich heller und damit
irgendwie freundlicher als die Hallen Xorloschs.
Auf der Empore stehen drei Altäre: Links ein Altar, der
Darador, den hohen Drachen des Lichts darstellt, mit dem rechten wird
Varsinor bzw. Naclador, der hohe Drache der Weisheit geehrt. Den
mittleren Altar schmückt eine im Vergleich zu den beiden
Drachen eher schlichte PRAios-Statue – die
ursprüngliche erreichte ihr Ziel nie. Warum tut der
nächste Bote des Lichts nicht einmal etwas gegen die
Schlichtheit dieser Statue und stiftet eine neue?
Im Tempel wurde uns die Prozedur erklärt, wie wir zum Orakel
gelangen: Zunächst werden die rituellen Reinigungen in den
Katakomben vollzogen. Irgendwann vor der PRAiosstunde wählt
ein Geweihter dann aus, wer zum Orakel hochsteigen darf –
wenn überhaupt einer. In der Zwischenzeit, darf man sich
reinigen, fasten und beten. Sollte man hindurch gelassen werden, steht
einem dann ein recht anstrengender Marsch über einen langen,
gewundenen Pfad zum Orakel selbst bevor.
Die Geweihte, die uns das erklärte, meinte noch, dass diese
Strapazen für ein kleines Mädchen natürlich
viel zu gewaltig wären. Sie würde sich um das Kind
kümmern. Nach einer kurzen Diskussion blieb es auch dabei, da
sich keiner von uns die Erkenntnis des Orakels entgehen lassen wollte.
26. PRAios 25 Hal, abends
Sind vom Orakel zurück aufs Schiff gekommen. Herr PRAios, war
das anstrengend! Zunächst mussten wir in einer Höhle
warten, bis wir demütig genug und demnach würdig
waren, zum Orakel vorgelassen zu werden. Das hat allerdings erstaunlich
kurz gedauert. Herr PRAios muss den Geweihten hier die deutliche
Anweisung gegeben haben, uns einfach zum Orakel zu lassen.
Wie dem auch sei, die Umstellung von den dunklen, kühlen
Katakomben in das helle, gleißende Licht der unglaublich
heißen Vormittagssonne war ein ziemlicher Schock. Der Weg zum
Orakel war, wie versprochen, lang, gewunden und ziemlich steil. Hier
und da ein paar einfache Treppen oder Geländer zeigten an,
dass wir weiterhin auf dem richtigen Weg waren.
Dann erreichten wir das Hochplateau. Dort standen etliche
Sandsteinblöcke, deren Sinn sich mir entzog. Dazwischen
standen zwölf goldene Gongs, der größte von
ihnen hatte einen Durchmesser von zwei Schritt. Im Zentrum des ganzen
stand ein riesiger Türrahmen, aus Stein gehauen, fünf
Schritt hoch. In ihm flimmerte die Luft. Das Sonnentor!
Ich sank auf die Knie, dankbar vom Herrn PRAios die Kraft bekommen zu
haben, die Strapazen durchzuhalten, um Sein Wort zu hören, auf
dass die Spaltung der PRAioskirche endlich beendet würde.
Leise hörte ich Praiogard murmeln, dann erfüllte mich
die Antwort mit einer unglaublichen Macht, die sich schier in meinen
Kopf brannte: „Genau dann, wenn in Vinsalt die Sonne am
hellsten scheint, wird in Havena ein Tempel gesegnet, dies jedoch nicht
am Rohalstag, wo in Kunchom ein Ketzer verurteilt wird. Auch wird, wenn
in Vinsalt die Sonne am hellsten scheint, nicht Jariel Bote des Lichts,
aber auch für Hilberian wird sich das Orakel nicht
entscheiden.“
Auf dem Rückweg begegneten wir einem Zyklopen, Braak oder so
ähnlich war sein Name. Er erzählte uns, dass er eine
Vision hatte: Er sollte einen „Zahnstocher“
schmieden, den er dann mir geben sollte. Was er mir
überreichte, war der beste Rapier, den ich jemals erblicken
durfte! Was für ein Geschenk! Ungläubig stammelte ich
meinen Dank, von den Worten und der Ausdrucksweise her ziemlich
unwürdig, wie ich finde, aber ich war schier
überwältigt.
…
4. EFFerd 25 Hal, abends
Toll der Rapier, den mir der Zyklop geschenkt hat! Ich habe damit
vorhin mal richtig schön einen der Räuber verhauen
dürfen. Die Strauchdiebe wollten sich eigentlich schon wieder
zurückziehen, als sie erkannten, dass sie mit Thallian einen
RONdrageweihten vor sich zu stehen hatten. Doch diesmal hielt ich ihn
zurück: „Thallian, du bist vor einiger Zeit um ein
gutes Gefecht gebracht worden, nicht wahr?“ Mein Freund
nickte erstaunt. Ich deutete auf die drei Kräftigsten.
„Du, du und du! Hier habt ihr zehn Dukaten!“ Ich
warf zehn Dukaten vor mir auf den Weg. Dann stellte ich mich
über das Münzhäufchen und zog meine Waffen.
„Kommt und holt sie euch!“
Der erste, ein hagerer, schlaksiger Mann, setzte sich ziemlich
verschämt an den nächsten Baum, nachdem ich seine
Waffe zerbrochen und ihm ein paar Mal mit dem Rapier auf den Hintern
gehauen hatte. In der Zeit versuchte der zweite, ein reichlich Dicker
aber großer Kerl, laufend die Münzen aufzuheben, die
ich ihm nebenbei immer wieder aus der Hand schlug.
Dem dritten, ein kleiner flinker, so um die zwanzig, musste ich
zunächst immer ausweichen, bis der Schlaksige weg war. Gegen
die zwei konnte ich wesentlich einfacher bestehen. Dem Dicken schlitzte
ich kurzerhand das Hemd vom Leib, halbnackt trollte auch er sich. Dann
begann ich mit einer Fechtstunde zur Erbauung meiner
Gefährten. Laut sagte ich jeweils an, was ich gleich machen
würde, bevor ich es ausführte. Der Beifall und die
Zwischenrufe irritierten meinen verbleibenden Gegner zunehmend, ich
denke, auch meine Bemerkungen wie „Droht nichts in wenigen
Augenblicken!“ haben ihren Teil beigetragen. Als er
feststellte, dass er durch etliche kleine Schnitte zunehmend
erschöpfte, ich jedoch noch keinen einzigen Kratzer hatte, gab
er völlig entnervt auf. Ich denke, ich nenne meinen Rapier
„Räuberschreck“. Oder, noch besser, noch
würdiger: „Klingentanz“! Oder
zyklopäisch: Lamach’ros. Klingt toll!
7. EFFerd 25 Hal, mittags
Nun ist es also soweit. Die Heere des Heliodan und des Lumerian stehen
sich vor Eleniva gegenüber; die bevorstehende Schlacht ist
unter Kollegen bereits als „Schlacht des Lichts“
bezeichnet worden. Es liegt an uns mit den vorliegenden
Orakelsprüchen diese zu verhindern und die Spaltung der
PRAioskirche zu beenden. Einen letzten Spruch brachte der Inquisitor
Rapheriam von Eslamshagen mit, als er als Bote die nahende Ankunft
Jariel Praiotin ankündigte. Nachstehend alle
Orakelsprüche:
1. Am Tag, nachdem in Greifenfurt die Sonne am hellsten schien, wird in
Drôl ein Tempel gesegnet und in Festum kein Ketzer verurteilt
werden.
2. In Zorgan scheint die Sonne am hellsten, irgendwann, bevor sie dies
in Gareth tut, aber am Tag, nachdem sie in Vinsalt am hellsten schien.
3. In Al’Anfa werde Ketzer nur windstags oder erdstags
verurteilt.
4. In Beilunk wird ein Ketzer verurteilt, genau dann, wenn in Kuslik
ein Tempel gesegnet wird. Wenn dies heute ist, sollen beide Bote des
Lichts sein und vereint die Macht halten.
5. Wenn heute in Greifenfurt die Sonne am hellsten scheint, dann soll
Hilberian Bote des Lichts sein.
6. Wenn in Al’Anfa Ketzer verurteilt werden, wird eine
Schlacht die Entscheidung bringen – oder beide sollen Bote
des Lichts sein.
7. Über Gareth scheint die Sonne am hellsten genau dann, wenn
in Drôl der Tempel gesegnet wird. Auch wird dann weder in
Beilunk noch in Khunchom ein Ketzer verurteilt.
8. Wenn in Al’Anfa Ketzer verurteilt werden, werden weder in
Kuslik noch in Drôl Tempel gesegnet.
9. Genau dann, wenn in Vinsalt die Sonne am hellsten scheint, wird in
Havena ein Tempel gesegnet, dies jedoch nicht am Rohalstag, wo in
Kunchom ein Ketzer verurteilt wird. Auch wird, wenn in Vinsalt die
Sonne am hellsten scheint, nicht Jariel Bote des Lichts, aber auch
für Hilberian wird sich das Orakel nicht entscheiden.
10. An den beiden Tagen nach der Tempelsegnung in Kuslik werden die
Tempel in Thorwal und Drôl gesegnet.
11. In Elenvina scheint die Sonne am hellsten genau dann, wenn in
Harben ein Tempel gesegnet wird.
8. EFFerd 25 Hal
Die PRAioskirche ist wieder eins! Wir haben es geschafft!
Wir wurden heimlich ins Zelt eingeschleust, in dem sich die beiden
Boten des Lichts trafen. Zunächst wurden wir alle aber Zeuge
eines ziemlich seltsamen Ereignisses: Direkt aus Firunjas Brustkorb
sprang eine grün getigerte Elfenkatze, putzte sich ausgiebig
und sprach: „Von fünf hintereinander liegenden Tagen
wird in zwölf Sprüchen gesprochen. An jedem Tage wird
ein Tempel gesegnet und ein Ketzer verurteilt, an jedem Tag scheint die
Sonne am hellsten in einer bestimmten Stadt, an jedem Tag, alles
jeweils in einer anderen Stadt, an jedem Tag. Der erste Tag ist der
Windstag.“ Dann sprang die Erscheinung zurück und
verschwand in Firunjas Brustkorb. Torben bestätigte mir
später, dass es genau so aussah wie das Tier, das ihm und
Armant damals gesagt hatte, wo uns der Greif Aurartan hingetragen
hatte.
Nach dieser letzten Erklärung zählte Firunja die
Verse noch einmal kurz durch und meinte, dass noch ein Orakelspruch
fehlte. Sofort wurden ein paar Leute losgeschickt, die in der Stadt
nach dem verbleibenden Spruch fahnden sollten.
In der Zwischenzeit besprachen wir das Rätsel des
PRAiosorakels.
Ich begann:
„Eure Eminenzen, wie wir bereits gehört haben,
bilden zwölf Orakelsprüche ein logisches
Gefüge, das es aufzulisten gilt. Elf davon haben wir
gehört. Gehen wir zusammen durch, welche logischen
Konsequenzen sich daraus ergeben.
Doch vorher bleibt folgendes festzustellen: Wir sind vom Herrn PRAios
selbst auserwählt worden, die Spaltung Seiner Kirche zu
beenden. Zu diesem Behufe hat Er uns diese Orakelsprüche
gesandt. Demnach schließe ich, dass es Ihm nicht recht sein
kann, wenn beide Bote des Lichts bleiben. Ebenso wenig denke ich, dass
die bevorstehende Schlacht Sein Wille ist, denn sonst stünden
wir nicht hier.
Dies lässt sich auch an Hand der Sprüche ausmachen:
Wenn in Al’Anfa Ketzer verurteilt werden, wird eine Schlacht
die Entscheidung bringen – oder beide sollen Boten des Lichts
bleiben. Ich denke, wir können davon ausgehen, dass in diesem
Spruch der heutige Wochentag gemeint ist, also PRAiostag“,
ich blickte zu Armant, „beziehungsweise BORonstag.“
Dieser Zusatz brachte mir einen finsteren Blick beider Boten ein.
Hilberian setzte schon an, daher sprach ich schnell weiter.
„Das kann jedoch nicht sein, da in Al’Anfa Ketzer
nur windstags oder erdtags, also nicht praiostags verurteilt
werden.“
„Genau!“, unterbrach mich jemand, „viel
zu selten! Wieso werden denn nur an zwei Tagen Ketzer in
Al’Anfa verurteilt? Das sollte viel häufiger
geschehen!“ Ich barg mein Gesicht in den Händen und
schüttelte den Kopf. Der Mann hatte irgendwie nichts
verstanden! Herr PRAios, bitte schenk ihm doch ein wenig
Durchblick!
Doch Armant antwortete bereits: „Seid versichert, dass Ketzer
in Al’Anfa durchaus an allen Tagen der Woche verurteilt
werden. Dies ist nur ein Satz eines Rätsels, der nicht
unbedingt der Realität entspricht.“
Was für ein Anfang! Wir waren dem Rätsel nicht einmal
zu Leibe gerückt, und schon wurde über den
Realitätsgehalt von Aussagen eines Rätsels
diskutiert. Das würde noch ein langer Tag werden! Als sich die
Diskussion gelegt hatte, sprach ich weiter: „Da heute
PRAiostag ist und nicht Wind- oder Erdtag, soll die Schlacht eben nicht
die Entscheidung bringen; ebenso wenig wie beide Boten des Lichts
bleiben sollen.
Es verbleiben als Lösungen somit die Möglichkeiten,
dass entweder der Lumerian Bote des Lichts wird oder der Heliodan oder
ein ganz anderer. Dieser letzte Fall träfe ein, wenn nach den
Orakelsprüchen heute in Vinsalt die Sonne am hellsten scheint.
Der Lumerian würde Bote des Lichts, wenn heute in Greifenfurt
die Sonne am hellsten stünde. Über den Heliodan wird
in den elf vorliegenden Sprüchen keine Aussage gemacht.
Die Orakelsprüche verbinden verschiedene Ereignisse zeitlich
miteinander. Jedes Ereignis, nämlich die Verurteilung eines
Ketzers, die Segnung eines Tempels und der hellste Sonnenschein treten
in jeder Stadt an einem anderen Tag auf. Wenn wir eine komplette Liste
der Abfolge der Ereignisse haben, können wir daraus
schließen, was gemäß der Sprüche
PRAios Wille ist.
An welchem Tag scheint also wo die Sonne am hellsten? Im zweiten Spruch
steht, dass die Sonne in Vinsalt und Zorgan an zwei aufeinander
folgenden Tagen am hellsten scheint. Diese beiden Tage stehen zeitlich
vor Gareth.
Zeitlich passieren die Ereignisse in Gareth und Drôl am
gleichen Tag, wie uns der siebte Spruch verrät. Das Ereignis
in Drôl geschieht aber auch exakt einen Tag nach dem Ereignis
in Greifenfurt. Das bedeutet, dass die Sonne erst in Greifenfurt und
dann in Gareth am hellsten scheint.
Damit haben wir in der Abfolge des hellsten Sonnenscheins zwei Gruppen
von aufeinander folgenden Tagen, nämlich Vinsalt-Zorgan und
Greifenfurt-Gareth. Die verbleibende Stadt Elenvina kann nur vor,
zwischen oder hinter diesen beiden Gruppen stehen. Die Abfolge der
hellsten Sonnenscheine kann also nur noch eine der folgenden drei sein:
Elenvina-Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth oder
Vinsalt-Zorgan-Elenvina-Greifenfurt-Gareth oder
Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth-Elenvina.“
Hier unterbrach Jast Gorsam sofort. „Natürlich steht
Elenvina ganz vorne! Wo sollte es denn sonst stehen?“ Ich
antwortete: „Herr PRAios stellt Elenvina dort an die Liste,
wo immer es Ihm beliebt. Oder wollt Ihr das Wort des Herrn PRAios in
Frage stellen?“ Er brummelte noch ein: „Nein,
natürlich nicht!“, und verstummte wieder.
Nun hatte Jariel eine Idee: Er schickte sofort nach Karten, einem
Nadelkissen und einer drei Tafeln, die mit Stoff bespannt wurden, um
die Karten mit den Nadeln befestigen zu können. Nun konnte ich
die Folgerungen für alle sichtbar nachvollziehen.
„Gehen wir’s noch mal durch! Im zweiten Spruch
steht, dass die Sonne in Vinsalt und Zorgan an zwei aufeinander
folgenden Tagen am hellsten scheint. Tragen wir die übrigen
Städte als unbekannt ein, sind folgende Reihenfolgen
möglich“
„Zeitlich passieren die Ereignisse in Gareth und
Drôl am gleichen Tag, wie uns der siebte Spruch
verrät. Das Ereignis in Drôl geschieht aber auch
exakt einen Tag nach dem Ereignis in Greifenfurt. Das wissen wir aus
dem ersten Spruch. Das bedeutet, dass die Sonne erst in Greifenfurt und
dann in Gareth am hellsten scheint. Das bedeutet bis hierhin folgende
Möglichkeiten:“
„Jedoch steht im zweiten Spruch auch, dass Vinsalt und Zorgan
vor Gareth kommen. Damit können wir die unteren drei
Möglichkeiten ausschließen.“ Damit nahm
ich die entsprechenden Karten wieder weg.
Die verbleibende Stadt Elenvina wird nun an Stelle des Fragezeichens
gesetzt. Damit kann die Abfolge nur noch eine der folgenden drei sein:
Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth-Elenvina oder
Vinsalt-Zorgan-Elenvina-Greifenfurt-Gareth oder
Elenvina-Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth.“
Ich fuhr fort: „Dann heißt es im elften Spruch,
dass die Ereignisse in Harben und Elenvina am gleichen Tag passieren.
Das bedeutet, dass der Tempel in Harben ebenfalls nur am ersten,
mittleren oder letzten Tag gesegnet werden kann.“ Daher
heftete ich folgendes an die zweite Tafel:
Diesmal unterbrach der Lumerian: „Wie kann man nur Harben und
Elenvina gleichsetzen? Das grenzt schon an Blasphemie!“ Ich
sah ihn an: „Seht in den elften Spruch! PRAios selbst setzt
Harben und Elenvina gleich. Beziehungsweise setzt er die Ereignisse von
Harben und Elenvina auf den gleichen Tag. Über die
Städte an sich wird keine Aussage gemacht.“ Wie ich
es befürchtet hatte: Mit jeder Schlussfolgerung wurde es
schlimmer, weil außer meinen Freunden alle Anwesenden die
Rätselsprüche als Wertungen verstanden und sich immer
mal wieder beleidigt fühlten. Ich seufzte leise. Die
Diskussion dauerte inzwischen bis zum Mittag an, und wir waren an einem
Punkt, den ich zuvor alleine deutlich schneller erreicht hatte. Ich
fürchtete darum, das Rätsel noch an diesem Tag zu
lösen.
Wir unterbrachen für die Mittagsmahlzeit. Danach nahm ich den
Faden wieder auf. Die weiteren Punkte wurden durch etliche
Zwischenfragen und noch mehr beleidigte Zwischenrufe unterbrochen, so
dass die gesamte Diskussion bis in die Abendstunden dauerte. Ich werde
hier praktisch nur noch die logischen Schritte wiedergeben.
„Wie im elften Spruch steht, finden also die Ereignisse in
Harben und Elenvina gleichzeitig statt. Weiterhin sagt uns der neunte
Spruch, dass die Ereignisse in Vinsalt und Havena gleichzeitig
geschehen. Der Sonnenschein in Vinsalt kann nach unseren Folgerungen
nur am ersten oder zweiten der fünf Tage am hellsten sein.
Entsprechend wird der Tempel in Havena ebenfalls am Windstag oder am
Erdstag gesegnet werden. Wenn also Elenvina vorne steht und somit auch
Harben, muss Havena an die zweite Stelle. Wenn Elenvina und Harben in
der Mitte oder hinten stehen, muss Vinsalt, wie wir an der anderen
Tafel sehen, vorne sein. Also muss dann auch Havena vorne
sein.“ Auch diese Ergebnisse steckte ich an die zweite Tafel.
Ich fuhr fort: „Weiterhin bedeutet das, dass heute, am
PRAiostag die Sonne in Vinsalt nicht am hellsten scheint, sodass sich
das Orakel zwischen dem Lumerian und dem Heliodan und für
keinen anderen entscheiden wird.
Über die Reihenfolge der Tempelsegnungen wird weiterhin
gesagt, dass eine Gruppe von drei Tempeln an drei aufeinander folgenden
Tagen gesegnet wird: zuerst Kuslik, danach Thorwal oder Drôl,
danach der verbleibende. Diese Sequenz steht entweder am Anfang der
fünf Tage, in der Mitte, also mit jeweils einem Tag davor oder
dahinter, oder am Ende der fünf Tage. Da sich in diese Reihe
aber Havena an erster oder zweiter Stelle einfügen muss, kann
die Dreiergruppe Kuslik-Thorwal/Drôl-Drôl/Thorwal
nicht am Anfang stehen.“
Ich schnitt einige weitere Karten zurecht und hängte sie unter
die bisherigen Tempelkarten.
„Wie wir sehen, ist der mittlere Platz immer von einer der
drei Städte Kuslik, Thorwal oder Drôl belegt. Daher
muss Harben entweder am Anfang oder am Ende stehen.“ Damit
nahm ich die mittlere Zeile wieder ab.
„Jetzt kann man recht gut erkennen, dass die drei
Städte nur noch am Ende oder in der Mitte stehen
können. Tragen wir das also ins Bild ein.“
„Jetzt können wir sehen, dass nur noch vier
Möglichkeiten verbleiben für die Reihenfolge, in der
die Tempel gesegnet werden:
Harben-Havena-Kuslik-Thorwal-Drôl,
Harben-Havena-Kuslik-Drôl-Thorwal,
Havena-Kuslik-Thorwal-Drôl-Harben oder
Havena-Kuslik-Drôl-Thorwal-Harben.
Da die Ereignisse in Elenvina und Harben am gleichen Tag stattfinden,
Harben aber nicht in der Mitte stehen kann, kann Elenvina auch nicht in
der Mitte stehen. Damit können wir die mittlere Zeile bei den
Sonnenständen wieder wegnehmen.“
„Als Möglichkeiten verbleiben also
Elenvina-Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth oder
Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth-Elenvina. Hängen wir nun die
bisherigen Ergebnisse nebeneinander.“
„Erinnern wir uns, dass die Ereignisse in Drôl und
Gareth gleichzeitig sind. Wenn bei den Sonnenständen die obere
Zeile gilt, steht Gareth an fünfter Stelle, folglich muss auch
Drôl an fünfter Stelle stehen. Dann kann das untere
Schildchen der oberen Zeile bei den Tempeln ab. Wenn für die
Sonnenstände die untere Zeile gilt, steht Gareth an vierter
Stelle. Also muss dann auch Drôl an vierter Stelle sein. Auch
in der zweiten Zeile kann also das untere Schild entfernt werden. Damit
verbleiben zwei Möglichkeiten:“
„1. Wenn Elenvina-Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth die
richtige Abfolge der Sonnenstände ist, muss die richtige
Abfolge der Tempelsegnungen Harben-Havena-Kuslik-Thorwal-Drôl
sein.
2. Ist jedoch Vinsalt-Zorgan-Greifenfurt-Gareth-Elenvina die richtige
Liste der Sonnenstände, muss
Havena-Kuslik-Thorwal-Drôl-Harben die richtige Liste der
Tempelsegnungen sein.
Welche der beiden Möglichkeiten zutrifft, lässt sich
ermitteln, wenn wir nun die richtige Abfolge der Verurteilungen von
Ketzern aufstellen. Die letzte Stadt dieser Liste ist Khunchom, wo am
Rohalstag“, ich grinste und blickte zu Firunja, „am
Schneetag – Ketzer verurteilt werden.“
Das steckte ich an eine dritte Tafel.
„Erinnern wir uns, dass es im siebten Spruch heißt,
dass die Ereignisse in Gareth und Khunchom nicht am gleichen Tage sind.
Das bedeutet, dass von den beiden Möglichkeiten für
den hellsten Sonnenstand nur noch die untere verbleibt. Also scheint
die Sonne erst in Vinsalt am hellsten, danach in Zorgan, Greifenfurt,
Gareth“, ich lächelte Jast Gorsam an, „und
zum Schluss in Elenvina. Damit werden die Tempel in folgender
Reihenfolge gesegnet: Havena, Kuslik, Thorwal, Drôl und dann
in Harben.“
Ich nahm einen Schluck Wasser, während die Diskussion wieder
einmal entbrannte. Am heftigsten sperrten sich Jast Gorsam und sein
Bruder, der Lumerian gegen diese logische Kette, schließlich
mussten aber auch sie einsehen, dass bis hierhin kein anderer Schluss
möglich war. Sie hätten diesen Disput bis zum
nächsten Markttag ausdehnen müssen, damit Lumerian
Bote des Lichts würde! Nach einer Weile schlug ich mit einem
Löffel gegen mein leeres Glas.
„Kümmern wir uns weiter um die Abfolge der
Ketzerverurteilungen. Dass Khunchom in der Liste ganz hinten steht,
wissen wir bereits. Außerdem sind die Ereignisse in Kuslik
und Beilunk am gleichen Tag. Tragen wir das ein!“
Da die Verurteilung in Al’Anfa an erster oder zweiter Stelle
der Liste stehen muss, die Verurteilung am Erdstag jedoch schon in
Beilunk stattfindet, muss die Verurteilung in Al’Anfa bereits
am Windstag geschehen. Auch das tragen wir ein.“
„Weiter heißt es im ersten Spruch, dass die
Ereignisse in Gareth und Festum nicht am gleichen Tag stattfinden. Das
bedeutet, dass Festum in die Mitte dieser Reihe gehört. Tragen
wir auch das ein.“
„Es fehlt jetzt noch eine Stadt in der Aufzählung.
Ich vermute, dass diese etwas über den Heliodan aussagt, aber
prinzipiell denke ich, dass sich der richtige Schluss auch so ziehen
lässt.“
Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Geschafft! Das
Rätsel war gelöst. Jariel fragte leise:
„Und wer soll nun nach PRAios Willen Bote des Lichts
sein?“ Ich sah ihn an. „Herr PRAios
wünscht keine Schlacht, keine Kirchenspaltung und keinen
anderen Vertreter als Euch oder“, ich sah zu Hiberian,
„Euch, Lumerian. Ihr sollt jedoch dann Bote des Lichts sein,
wenn heute in Greifenfurt die Sonne am hellsten scheint. Heute scheint
jedoch in Gareth die Sonne am hellsten.“ Wieder sah ich
Jariel an. „Folglich will er nicht ihn sondern Euch als Boten
des Lichts sehen. Um das bestätigt zu wissen,
benötigen wir jedoch den zwölften Orakelspruch.
Nicht, dass jemand Euch gegenüber tritt und behauptet, er
solle der Bote des Lichts sein, wenn in Gareth die Sonne am hellsten
steht.“
Hilberian war deutlich geschockt. „Aber“, platzte
er heraus, „das kann doch gar nicht sein! Ich habe doch
deutlich PRAios Willen vernommen. Er will MICH als Boten des
Lichts!“
Da ergriff Jast Gorsam das Wort. „Doch, es ist wahr! ICH habe
den zwölften Orakelspruch erhalten: ‚Wenn in Mendena
ein Ketzer verurteilt wird, dann soll Jariel Bote des Lichts
sein.’ Es stimmt!“ Er ging zu Hilberian und legte
ihm die Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid, mein
Bruder!“
Das war zu viel für Hilberian. Für Minuten erstarrte
er. Nur langsam löste sich seine Verspannung.
Schließlich erhob er sich. „Dann sollten wir jetzt
vor unsere Heere treten und verkünden, dass Ihr, Jariel der
Bote des Lichts seid.“ Und so geschah es dann auch.